■ Joschka Fischer analysiert den Krieg in Bosnien: Pflöcke eingeschlagen
Daß gerade die Grünen sich mit dem Krieg auf dem Balkan schwer tun, ehrt sie gewissermaßen. Sie sind dem emanzipatorischen Prinzip der Gewaltfreiheit verpflichtet und haben sich gleichzeitig schon immer radikaler als alle anderen Parteien für den Schutz der Menschenrechte ausgesprochen. Und so kommen sie zwangsläufig in die Bredouille, wenn die beiden Grundsätze in allzu eklatanten Widerspruch geraten, wenn Menschen zu Hunderttausenden in die Flucht getrieben oder ermordet werden und so die Strategie der Gewaltfreiheit auf ihre Schranken stößt.
Es ist noch nicht lange her, da war dem heutigen Fraktionschef von Bündnis 90/Die Grünen der Zusammenhalt der Partei allemal wichtiger als eine klare Aussage zum Drama auf dem Balkan. Und letztlich ging es auch auf dem Sonderparteitag der Grünen zum Krieg im ehemaligen Jugoslawien weniger um eine Klärung der sich aufdrängenden Fragen als um die Rettung der Einheit der Partei.
Auf jenem Sonderparteitag im Oktober 1993 in Bonn sprach sich eine deutliche Mehrheit der Delegierten, in der eigenen Tradition befangen, gegen eine militärische Intervention in Bosnien aus. Doch schon die mörderische Dynamik auf dem Balkan sorgte dafür, daß die unterlegene Minderheit parteiintern an Gewicht gewann. Dies spiegelt sich deutlich in der Veränderung der Positionen zahlreicher grüner Funktionäre und Amtsträger wider. Auf dem Parteitag vom Dezember 1994 in Potsdam wurde die eindeutige Position vom Vorjahr schließlich aufgeweicht in eine, die für mehrere Interpretationen Raum ließ.
Es konnte nicht wundern, daß angesichts der Debatte über die Entsendung deutscher Tornados der parteiinterne Konflikt um die Bosnienpolitik neu aufflammte. Die Auseinandersetzung wurde zunehmend über Interviews und publizistische Streitgespräche geführt, in Talkshows und anderen Formen des Infotainments inszeniert – mit dem üblichen Verlust an Seriosität, den diese Art der Debatte nun mal mit sich bringt. Nun hat Joschka Fischer Pflöcke eingeschlagen. In seiner nüchternen Analyse der Ursprünge, Entwicklung und Perspektiven des Krieges auf dem Balkan, der in allen Grundzügen zuzustimmen ist, hat er das Dilemma seiner Partei mit einem Satz auf den Punkt gebracht: „Leben und Freiheit stehen gegen den Grundsatz der Gewaltfreiheit.“ Und er hat sich entschieden: für den militärischen Schutz der UN- Schutzzonen. In der zur Zeit wichtigsten außenpolitischen Frage wird er damit vorerst die parteiinterne Debatte bestimmen. Während die SPD ein groteskes Theater um die Parteiführung aufführt, ist der faktische Parteichef der Grünen dabei, seine Position als eigentlicher Oppositionsführer weiter auszubauen. Thomas Schmid
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