Jede Minute kostet 1,5 Milliarden Mark

■ Privatfinanzierung von ICE-Trasse beschäftigt Bundesverfassungsrichter

„Die Entscheidung für die ICE- Trasse München-Nürnberg über Ingolstadt ist längst gefallen, das Finanzierungskonzept steht.“ Gebetsmühlenhaft wiederholt Bayerns Wirtschafts- und Verkehrsminister Otto Wiesheu diesen Satz bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Er unterschlägt dabei, daß letztlich der Haushaltsausschuß des Bundestages, der Bundesrechnungshof und das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe über die Schnellbahntrasse entscheiden und nicht der bayerische Wirtschaftsminister. „Da kann der Wiesheu auf dem Kopf stehen und mit den Füßen wackeln, die ICE- Trasse ist und bleibt eine Bundesangelegenheit“, betont der Ingolstädter Bundestagsabgeordnete Albert Schmidt von den Bündnisgrünen. Er will sein Amt als Vizepräsident der Parlamentarischen Gruppe Bahn nutzen, um die ökologisch und wirtschaftlich äußerst umstrittene Trasse doch noch zu kippen.

Einen günstigen Hebel dazu sieht Schmidt in der geplanten Privatfinanzierung. Als erste und vorerst einzige Bahntrasse soll die Strecke München-Nürnberg von einem noch zu suchenden Konsortium vorfinanziert werden. Sieben Milliarden Mark sollen die privaten Investoren vorschießen. Der Bundeshaushalt bliebe dabei bis zur Fertigstellung des Baus im Jahre 2003 unbelastet. Laut Kabinettsbeschluß muß der Bund aber dann die Strecke von den privaten Investoren zurückkaufen – in 25 Jahresraten à 622 Millionen Mark. Das macht zusammen stattliche 15,6 Milliarden Mark. Ursprünglich waren für die neue Trasse einmal 3,1 Milliarden veranschlagt worden.

„Für die Banken ein gigantisches und obendrein völlig risikoloses Geschäft“, kritisiert Schmidt. Denn die 25 Jahresraten sollen als „Verpflichtungsermächtigungen“ bereits in das im Herbst zur Debatte stehende Haushaltsgesetz zum Bundeshaushalt 1996 aufgenommen und damit verbindlich gemacht werden. Bündnis 90/Die Grünen wollen diese Art der Finanzierung verfassungsrechtlich überprüfen lassen.

Zuvor will man jedoch den Bundesrechnungshof (BRH) einschalten. Der hatte sich schon mehrmals mit der ICE-Strecke von München nach Nürnberg befaßt und den Planern in München, Bonn und in der Zentrale der Deutschen Bahn (DB) die Leviten gelesen. Zuletzt hatten die obersten Rechnungsprüfer festgestellt, daß die von der Bahn favorisierte Trasse über Ingolstadt im Vergleich zu der von den Naturschützern bevorzugten Trasse über Augsburg zwar 23 Minuten schneller sei, aber auch bezogen auf 3,1 Milliarden Kosten um mindestens 720 Millionen Mark teurer. „Der Bau der Ingolstädter Variante kann kaum mit Wirtschaftslichkeitsfaktoren begründet werden“, urteilte der BRH.

Pech für die DB, daß nach einer eigens bei dem Münchner Planungsbüro Vieregg & Rössler in Auftrag gegebenen, aber bislang unter Verschluß gehaltenen Studie der Fahrzeitgewinn der Ingolstädter Variante gegenüber einer „optimierten Ausbauvariante über Augsburg“ auf schlappe elf Minuten zusammenschmilzt. „Jede Minute Fahrzeitverkürzung läßt Theo Waigel den Steuerzahler 1,5 Milliarden kosten“, resümiert Schmidt und vergleicht die ICE- Strecke schon mit der Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) in Wackersdorf. Die war auch gegen massiven Widerstand durchgesetzt worden, scheiterte jedoch vier Jahre nach Baubeginn an der von den Energieversorgungsunternehmen eingestandenen Unwirtschaftlichkeit.

Doch ähnlich wie bei der WAA versuchen die ICE-Bauer möglichst schnell vollendete Tatsachen zu schaffen. Im Reichswald bei Nürnberg ließ man bereits eine 70 Meter breite und zwei Kilometer lange Schneise für das Projekt mit dem wenig klangvollen Namen „Deutsche Einheit Schiene Nr. 8“ schlagen. Bernd Siegler