: "Militär keine Lösung"
■ Angelika Beer, sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, ist strikt gegen Joschka Fischers Bosnien-Papier
taz: Was halten Sie von Fischers Papier zur Bosnienpolitik?
Angelika Beer: Ich kenne das Papier aus der Zeitung. Dieses Vorgehen Fischers hilft weder den Menschen in Bosnien noch unserer Partei. Eine Diskussion, die so eingefädelt wird, gewinnt unnötig an Schärfe. In der Frage, wie gehen wir mit dem Krieg in Bosnien um, führt sie uns überhaupt nicht weiter. Wir dürfen an der Frage Bosnien nicht die Koalitionsfähigkeit der Grünen mit Blick auf die nächste Bundestagswahl entscheiden.
Fischer liefert aber eine klare Analyse der Bosnienpolitik.
Sicher, den weitesten Teil seiner Analyse kann ich fast unterschreiben. Doch die Geister scheiden sich dort, wo er fordert, jetzt müßten wir neue Antworten suchen, da all unsere Konzepte nicht gewirkt haben. Das ist falsch.
Warum?
All unsere Vorschläge sind bis heute nie angewandt worden. Wenn man bisher als Partei nicht die politische Stärke hatte, diese Konzepte durchzusetzen, kann man jetzt nicht einen Positionswechsel wie Fischer vornehmen. Letztlich spricht er sich doch für Militäreinsätze zur Wahrung der Menschenrechte aus.
Und dazu sagen Sie nein?
Ja. Es gibt keinen Nachweis dafür, daß Menschenrechte durch Militäreinsätze verteidigt werden, wenn vorher der politische Wille gefehlt hat, den Konflikt nicht-militärisch zu lösen.
Aber es ist heute doch müßig, darüber zu reden, was hätte sein können, wenn ...
Es ist vor allem müßig, wenn Antimilitaristinnen wie ich jetzt gefragt werden: Was sollen wir tun, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist.
Sie haben also keine Lösung?
Es ist falsch, wenn die UNO die Evakuierung der Schutzzonen ablehnt, weil man denkt, damit die Säuberungspolitik Karadžić zu unterstützen. Ich bin für eine Evakuierung der Schutzzonen, wenn nichts anderes mehr geht. Und im Moment scheint nichts anderes mehr zu gehen.
Wohin sollen die Menschen denn evakuiert werden?
In Nicht-Kriegsgebiete.
Eine Massenevakuierung in all die Länder, die sich im Moment schon schwer tun, überhaupt Kriegsflüchtlinge aufzunehmen?
Die Menschen in Bosnien sind schon seit vier Jahren Geiseln. Wenn sie rauswollen, dann muß diese Möglichkeit geschaffen werden. Nur weil wir als Grüne für eine Multikulturelle Gesellschaft stehen, können wir jetzt doch nicht sagen: Wir möchten, daß in Bosnien ein multikulturelles Leben möglich bleibt, und deshalb müssen die Menschen dort bleiben.
Ein politischer Konsens für Massenevakuierungen ist aber illusorisch. Bezogen auf die konkrete Kriegssituation: Wie soll es in Bosnien weitergehen?
Nachdem Möglichkeiten wie Wirtschaftsblockaden oder Waffenembargos vier Jahre lang nicht wirklich durchgesetzt worden sind, lasse ich mich jetzt nicht zum Handlanger einer Interventionspolitik machen.
Angesichts des Prinzips der Gewaltfreiheit fragt Fischer in seinem Papier: Läuft die Linke nicht massiv Gefahr, ihre moralische Seele zu verlieren?
Diese Frage muß sich jeder Grüne selber stellen. Und jeder kann sie nur vor sich selbst verantworten. Eine militärische Intervention ist keine Lösung. Sie wird nicht dazu führen, daß man die Situation auf dem Balkan befriedet.
Der Krieg geht auch weiter, wenn sämtliche Schutzzonen evakuiert würden.
Ich habe keine Patentrezepte. Noch einmal: Jetzt die Pazifisten als Schuldige darzustellen, nur weil sie vier Jahre nicht gehört worden sind, und sie jetzt zu fragen, was wollt ihr denn noch machen – das ist Kriegspropaganda.
Was antworten Sie, wenn Sie jemand in 20 Jahren fragt, warum habt Ihr die Massaker zugelassen?
Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß es im Moment kein Mittel gibt, in kürzester Zeit diese Menschenrechtsverletzungen zu beenden. Interview: Karin Flothmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen