Schirm & Chiffre
: Eigenheimbau im Globalen Dorf

■ Medien in Berlin: Homepages, das Post-Talk-Show-Medium. Wer nichts zu sagen hat, listet seinen T-Shirt-Bestand auf.

Vielleicht haben sie ja doch recht, die Sonntagsreden haltenden PolitikerInnen, Pro und Contra abwägenden RedakteurInnen und TagesschausprecherInnen, die ernsten Blicks von der Datenautobahn sprechen. Autobahn heißt Mobilität für alle. Zwar ist der Mercedes schneller, aber ein Volkswagen tut's auch zur Selbstverwirklichung durch Verkehrstechnik.

Im Vergleich zum derart demokratisierten Transportwesen folgte die elektronische Kommunikation bis vor kurzem einer absolutistischen Idee: Einer redet, die anderen hören zu. Diesen Umstand konnten auch Talk- Shows nicht verschleiern, macht sich das Volk hier doch nur selbst zum Hofnarren. Die in den Siebzigern entwickelten sozialdemokratischen Konzepte der Medienwerkstätten und Offenen Kanäle konnten daran nichts ändern. Auch wenn – zugegeben – zwei Stunden Offener Kanal manchmal amüsanter sind als die offizielle Prime Time.

Doch Achtung! Hier kommt die Datenautobahn, und der Volkswagen heißt dort Homepage: die eigene Seite im World Wide Web. Oder, wenn wir den Sprung zur nächsten Metapher wagen: Die Homepage ist das eigene Häuschen im Globalen Dorf. Jeder kann sich seine persönliche Seite basteln, der Anfänger lädt sich favorisierte Seiten aus dem Netz herunter, wirft einen Blick in die Programmebene, ersetzt die vorgefundenen Überschriften, Texte und Bilder durch seine eigenen und legt sie im Netz wieder ab.

Beschäftigt man sich näher mit diesen elektronischen Repräsentationen „normaler“ Menschen, stellt sich bald heraus, daß alte Sprichwörter auch im elektronischen Äther ihre Gültigkeit haben: Zeig mir deine Homepage, und ich sag' dir, wer du bist.

Kürzlich besuchte ich Bobs virtuelles Wohnzimmer, dessen Adresse sich fast ausschließlich aus den Wörtern „America“ und „Patriot“ zusammensetzt. „Bob's Hot Links“ steht dort in großen Lettern, was bedeutet, daß Bob selbst uns nichts zu sagen hat, er den Besuchern aber gerne interessante Orte im Cyberspace präsentieren will. Bobs Verbindungen ins WWW führen zuerst ganz harmlos zur „Batman Forever Homepage“, die den Kinostart des neuen Films promotet. Des weiteren legt Bob aber Wert darauf, den Besucher zu den Seiten der CIA zu geleiten: Seht, dies sind die Frauen und Männer, die rastlos tätig sind, um uns vor Kommunisten und Aliens zu schützen!

Um das Bild abzurunden, verweist ein weiterer Knopf auf die Homepage von Newt Gingrich, Anführer der selbsternannten konservativen Revolutionäre im US-Kongreß. Bob sagt, er sei stolz auf den „Contract with America“, den Newt ausgearbeitet hat und dort zum besten gibt. Entweder ist Bobs Homepage das Werk eines sozialkritischen Autors, der in die Rolle des weißen, männlichen und überernährten Waffenbesitzers geschlüpft ist, oder ein Beweis dafür, daß das Internet in den USA bereits zum Mainstreammedium geworden ist.

Kurz nach meinem Besuch bei Bob geriet ich auf das Terrain der „Useless Pages“, einer Sammlung ganz besonders sinnloser Anwendungen und Homepages im Netz (http://www.primus.com/staff/ paulp/useless.html). Die Popularität der Useless Pages, die sich an einer Million Besuchern ablesen läßt, ist riesig. Manche Teilnehmer bieten Paul Phillips vom amerikanischen WWW-Dienstleister Primus, der hobbymäßig die Auswahl trifft, ihre Machwerke selbst an, um in die Liste der unsinnigsten und bedeutungslosesten Homepages aufgenommen zu werden. Darunter findet sich eine Seite, die dem Benutzer einen riesigen Knopf zur Verfügung stellt, dessen Betätigung offensichtlich keinerlei Folgen hat. Oder „La liste de T-Shirts de Steve“, in der dieselben aufgeführt und beschrieben sind.

Sind die Useless Pages der letzte Aufschrei des desparaten Individuums? Das Leben ist – so scheint es hier – eine Ansammlung sinnloser Aktivitäten: I'm a loser, Baby, so why don't you kill me? Ulrich Gutmair