Nachts angemessen phallisch

Dracula Lite Forever – in der neuen Batman-Version von Joel Schumacher spielen alle Jungs nett mit ihren Spielzeugen, während der Held gern Ohren und Cape an den Nagel hängen würde  ■ Von Elaine Showalter

Batman hatte sein Debüt in dem Comic „Detective“ 1939, als eine Kreation des Zeichners Bob Kane, der als Vorbild den maskierten Helden des Stummfilms „Mark of Zorro“ von 1931 angab. Letzterer wiederum war unter anderem ein Nachfahre von Leonardos Skizzen einer Flugmaschine, die „Der Ornithoper“ hieß. In erster Linie aber ist Batman ein „Dracula Lite“, eine gutartige, amerikanisierte Version des dunklen Prinzen von Transsylvanien, versetzt ins strahlende Gotham City. Dort lebt er in einem Depressions-Fantasy- Rausch, tagsüber als wohltätiger Millionär Bruce Wayne, nachts als verhüllter Kreuzritter, der eine endlose Reihe von Mutanten und schizoiden Kriminellen bekämpft. Mit Sicherheit hat Bela Lugosis campige Dracula-Darstellung einige von den schauergothischen Szenarios geliefert, die Batman und seine Peer Group von Bösewichtern umgeben. In den deutschen „Nosferatu“-Versionen der Dracula-Geschichte verwandelt sich der mutige junge Maklergehilfe Jonathan Harker, der den Vampir verfolgt, langsam selbst in ihn. Ähnlich scheint auch Batman obsessive tranformatorische Anwandlungen bei seinen Feinden hervorzurufen, während seine eigenen psychischen Aufspaltungen auf sie projiziert werden wie das Batsignal, das ihn in die Stadt ruft. Trotz seines Reichtums ist Bruce Wayne einsam, so ein Typ mit einer Schwäche für Fledermäuse, unfähig, Liebe oder Frieden zu finden, zwanghaft damit beschäftigt, die anderen Kinder der Nacht zu suchen.

Der Produzent Tim Burton, mit seinen enorm erfolgreichen „Batman“ von 1989 und „Batman Returns“ von 1992 und der sturmerprobte Regisseur Joel Schumacher sind ein ideales Team für diese dritte Folge. Burtons liebevolles Porträt von Bela Lugosi in „Ed Wood“ und Schumachers homoerotisch aufgestylte Vampirstory in „The Lost Boys“ haben schon demonstriert, wie die beiden das mythische Potential dieser Fin-de- siècle-Ikonen sehen. In „Batman Forever“ haben sie sich bereits für ein kühnes, rauschend unterhaltsames Spektakel zusammengetan und ein neues Set männlicher Hysteriker auf die Leinwand geworfen. Hier nun sind es Harvey Dent, alias Two-Face (Tommy Lee Jones), ein Ex-Staatsanwalt mit scheußlich vernarbtem Gesicht, ein ehemaliger Verbrechensbekämpfer mit gespaltener Persönlichkeit, umgeben von dazu passenden Dekors und Dummies, Heavy Metal mit einem Hauch „Schöner Wohnen“. E. Nygma, alias The Riddler, ist ein durchgedrehter Techno-Megalomane – eine Mischung aus Bill Gates und Ted Turner – der die Gehirnströme von Menschen anzapfen kann. Dick Grayson, alias Robin, ist ein Zirkusblag, dessen Akrobatenfamilie von Two-Face niedergeschossen worden ist, was unbändige Rachegelüste bei ihm hinterlassen hat. Alle diese gespaltenen Persönlichkeiten sind auf Batman fixiert, mit einer unerwiderten Liebe, die ihren Ausdruck in Imitation, Verfolgung und Träumen von gewalttätiger Erfüllung findet.

Bei all dieser schwer beladenen männlichen Übertragung und einem Haufen echten Jungsspielzeugs bleibt für Frauen wenig zu tun. Nicole Kidman als Psychotherapeutin Dr. Chase Meridian ist vielleicht die erste Frau, die Batman auf der Leinwand küßt. Aber im Vergleich zu Michele Pfeiffers Catwoman in „Batman Returns“ wirkt ihre permanente Schwäche für die falschen Männer (Ohrringträger im Gymnasium, Ledertypen im College) ein wenig zu jugendlich. Sogar die sinnlich-verschlagene Drew Barrymore als Sugar, Two-Faces „gute“ Freundin, hat enttäuschend wenig zu sagen.

Wie immer besteht der Plot des Films darin, daß die Bösen versuchen, Batman zu vernichten und die Vorherrschaft über Gotham City und die ganze Welt zu erlangen. Dieses Mal hat Batman allerdings eine Identitätskrise ganz im Stil der 90er Jahre und sehnt sich danach, Ohren und Cape an den Nagel zu hängen und endlich in normales Leben zu führen. Er träumt böse Träume vom Tod seiner Eltern und leidet unter Flashbacks von einem Kindheitstrauma während ihrer Beerdigung. Hier tritt nun Dr. Meridian auf den Plan, die auf multiple Persönlichkeiten und die Aufdeckung unterdrückter Erinnerungen spezialisiert ist. Das gegenwärtige psychologische Dogma lehrt ja, daß eins wie das andere auf sexuellen Mißbrauch in der Kindheit zurückzuführen sind – war's die Mutter, war's der Vater – aber die Filmemacher gehen nicht näher darauf ein. Hier geht es viel schlichter um ein Gemisch aus Trauma und verdrängter Schuld; ein Hauch von Citizen Kanes Rosebud zeigt sich in den Rückblenden, denen stets das Fallenlassen einer Rose vorangeht. Es gibt auch einige klassische Dracula-Momente, vor allem eine Szene mit gewellter Bettdecke und Balkon, die direkt von Lugosi stammen könnte, in der der dunkle Ritter die Frau Doktor um Mitternacht aufsucht. Vielleicht wollen sie das neuere Zeugs wie Hypnose, Gedächtnisdrogen und gefährliche Teufelsrituale für „Batman IV“ aufheben.

Ein zentrales Thema bei allen Geschichten um multiple Persönlichkeiten, die in den 1880ern und 1890ern entstanden, ist die Fortpflanzung. Einerseits wehren sich die Helden gegen Sex mit Frauen (wenn sie sich nicht sogar regelrecht davor ekeln), gegen die Ehe und jede Form konventioneller häuslicher Arrangements. Andererseits müssen sie aber irgendwie das Problem der Kontinuität und der Vaterschaft in ihren Männerhaushalten lösen. Dracula schafft sich seine Nachkommen durch beißen, Jekyll gebiert seinen metaphorischen Sohn, Hyde, mit Hilfe von Tabletten, und sogar Dorian Gray hat sein Bildnis. „Batman Forever“ löst das Problem mit Robin. Robin ist eine der bekanntesten schwulen Ikonen der gesamten Comic-Literatur, und Chris O'Donnel spielt ihn jungenhaft, heißblütig und stattlich, mit durchstochenem Ohr. Aber trotz einiger Witzchen über seine Schwäche für Lederbars ist Robin eher Sohn als Liebhaber. Er leiht sich sogar einmal das Batmobil für eine Spritztour. Diese Stabilisierung seiner häuslichen Situation trägt ganz erheblich dazu bei, daß Batman es schafft, seßhaft zu werden.

Val Kilmer, der die Titelrolle von Michael Keaton übernommen hat, sieht tagsüber intelligent, adrett und gediegen, nachts hingegen angemessen phallisch aus in seinem Bondage-Gummianzug. In der Lippenfrage kann er es durchaus mit dem großen Lippenmeister selbst, mit Sylvester Stallone in „Judge Dredd“, aufnehmen. Tommy Lee Jones jedoch verschwindet als vernarbter Two- Face unter dem Make-up und der Technologie. Seine bösen Streiche sind verwirrend anzuschauen; während der Zuschauer in den meisten Actionfilmen eine privilegierte Position gegenüber dem Chaos einnimmt, verstehen wir in „Batman Forever“ nicht einmal, wer wen in die Luft jagt. Am besten versuchen Sie es gar nicht erst: Überlassen Sie sich einfach dem Erlebnis.

Jim Carrey beherrscht nicht nur den gesamten Film, sondern auch den Trailer. Als Edward Nygma, der Computerfreak, der zu „The Riddler“ wird, erinnert seine brillante Darstellung ironisch an Fred Astaire, an Jerry Lewis und an irgendwas weit jenseits all dessen in den letzten Szenen, in denen der manische, mit Superhirn ausgestattete Riddler ganz in Weiß mit einer schwarzen Augenmaske auf seinem Thron sitzt und von Batmans Rätsel über Blindheit und Sehen

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schachmatt gesetzt wird. In einer schnellen, kühnen Reihe von Einstellungen macht Schumacher The Riddler zu Ödipus – mit tiefschwarzen Augenhöhlen, die an Olivier erinnern.

Die Spezialeffekte vom „Star- Wars“-Veteranen John Dykstra machen sich das gesamte Arsenal der zur Verfügung stehenden technischen Ressourcen zunutze, einschließlich computergenerierter Bilder, Miniaturen und Blue- Screen-Aufnahmen. Die Bühnenbildnerin Barbara Ling wollte das Gotham City „dreimal so hoch wie New York“, mit „Elementen von Jugendstil, russischem Konstruktivismus, europäischem und amerikanischem Futurismus, Modernismus und Postmodernismus“. Ein Gebäude scheint von Christo eingewickelt worden zu sein. Zusätzlich zu den Werbeplakaten und Neonlichtern sehen wir riesige Skulpturen und Monumente – Sphinxe, rodinartige Denker, Melancholiker. Einige der Aufnahmen stammen aus Lower Manhattan, von Straßen und Gebäuden, die jene klaustrophobische Stimmung von riesigen Häuserreihen erzeugen, die über dicht belebten Straßen hängen. Innenräume wie die diverser Museen, Anlagen oder Luftstützpunkten in New York oder Los Angeles sind dunkel und verlassen. Die Gotham-Straßengang in „Pan Asia Town“ erinnert an „Clockwork Orange“, während Two-Faces' Trupps maskierte Terroristen sind.

In vielerlei Hinsicht ist „Batman Forever“ die Versinnbildlichung der amerikanischen Paranoia der 90er Jahre. Die Autoritäten sind korrupt oder impotent; riesige Verschwörungen finden hinter den geschlossenen Türen der Wall Street und in den Fernsehstudios von „GNN“ statt; die Normalbürger sind auf Gedeih und Verderb manichäischen Kräften ausgeliefert. Ein ungleicher Kampf der Giganten, bei dem die Bösen aufregend und zielstrebig sind, während die Helden als eher dürftig und von Selbstzweifeln geplagt erscheinen.

Ironie, diese Eigenschaft, die den oft schlechtgemachten und häufig unterschätzten Amerikanern angeblich fehlen soll, ist dennoch die wichtigste stilistische Figur des Films. Jim Carrey fällt so sehr aus dem Rahmen, daß er fast schon wieder brechtisch wirkt. Aber das Drehbuch fällt konstant hinter Bühnenbild, Schauspiel und Regie zurück. Zu guter Letzt bleibt die Chose auf einem witzelnden Comic-Level und Batman Bruce bleibt zweidimensional, wo er wellessche Tiefe hätte haben können. Das Skript sucht die Gags und die Einzeiler. Schon wahr, der Film führt erfolgreich den eigenen Hype vor. „Bin ich ein bißchen übertrieben?“ fragt The Riddler. „Ich kann es nie so genau sagen.“ Aber, wie Schumacher schlau bemerkte: „Niemand zahlt acht Dollar für Untertreibung.“ Batman für immer? Eher unwahrscheinlich.

Die Autorin lehrt Frauenstudien an der Uni Princeton. Ihr nächstes Buch „Hystories: Hysteria and Contemporary Culture“ wird Anfang 1996 erscheinen.

Aus dem Amerikanischen von Mariam Niroumand