Freiwillige „Gleichschaltung“

■ betr.: Bosnien-Berichterstattung

Seit mehr als vier Jahren tobt ein schrecklicher Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien, nach UNO-Angaben fanden bis zum heutigen Tage 100.000 Menschen den Tod, Hunderttausende wurden vertrieben und entrechtet. All diese schrecklichen Fakten werden von mir nicht bestritten, einzig kritisiere ich die freiwillige „Gleichschaltung“ der bundesrepublikanischen Gesellschaft.

Während es die moslemisch- fundamentalistische Izetbegovic- Regierung und der faschistisch-autoritäre Staatspräsident Tudjman in Kroatien geschafft haben, durch geschickte Propaganda die Bundesrepublik kriegsreif zu manipulieren und jede kritische Berichterstattung unterdrückt beziehungsweise nur am Rande geduldet wird, wird jeder Bericht über Kriegsverbrechen an serbischen Zivilisten ohne Prüfung als Propaganda abgetan und größtenteils ignoriert (Ausnahme ist hier nur die Junge Welt).

Die BRD will nicht wahrhaben, daß es in diesem Konflikt keine Guten und Bösen gibt, sondern allenfalls geschickteres und plumperes Auftreten der jeweiligen Kriegspartei; die meisten westlichen Staaten haben dies erkannt und behandeln die Propaganda der jeweiligen Seite mit der gebotenen Vorsicht, in der BRD hingegen wird die Regierung Kohl durch Journalisten von Rathfelder (taz) bis Reißmüller (FAZ) und das dadurch erzeugte öffentliche Klima zum Krieg getrieben. Suggeriert wird, daß der Einsatz deutscher Truppen mit europäischer Beteiligung auf dem Balkan humanitären Zielen dient, tatsächlich geht es um die Durchsetzung deutscher Interessen auf dem Balkan. Welches sind die Visionen der Interventionsbefürworter für die Zeit nach der Intervention? Geht es den meisten, Humanität vortäuschenden, nicht in Wirklichkeit um eine Veränderung der Einflußsphären in Europa, sollen nicht Frankreich und Großbritannien deutlich gemacht bekommen, daß ihre Nachkriegsrolle endgültig zu Ende ist, daß die BRD sich auch gegen den Willen ihrer Partner wieder stark genug fühlt, „deutsche Interessenpolitik“ zu betreiben; ehrlicher wäre es, die jeweiligen Kreise würden dieses Ziel zugeben, anstatt es auf dem Rücken der Menschen in Bosnien durchzusetzen und diejenigen, die an der Lauterkeit der Motive zweifeln, als „Serbenknechte“ zu verunglimpfen.

Ein weiterer Gesichtspunkt wird in der BRD oftmals vergessen: Die ebenfalls nur aus (deutsch)nationalen Interessen zu erklärende Anerkennung Sloweniens und Kroatiens hat diesen Krieg erst möglich gemacht, hat das europäische Klima nachhaltig vergiftet und eine faschistische Regierung in Kroatien stabilisiert. 1991 wäre es ohne größere Probleme möglich gewesen, durch politische und wirtschaftliche Angebote auf der einen und militärische Drohungen auf der anderen Seite Jugoslawien vor dem Zerfall zu bewahren, gegenüber den Serben zum Beispiel hätte man sehr bestimmt auftreten können und ihnen deutlich machen müssen, daß man militärisches Vorgehen für die Schaffung eines Großserbiens nicht dulden würde; dieselbe Drohung hätte man in Richtung der Abtrünnigen Kroatien und Slowenien aussprechen müssen, und, dies erscheint mir im Nachhinein der wichtigste Faktor, man hätte diese beiden Republiken niemals als eigenständige Staaten anerkennen dürfen, beraubte diese doch Jugoslawien zu einem nicht unwesentlichen Teil seiner multikulturellen Grundlage und ermunterte Fundamentalisten und Nationalisten anderer Republiken, die Option der Sezession zu formulieren, durchzusetzen und der multikulturellen Idee Jugoslawiens eine Absage zu erteilen.

Neben der sinnvollen und notwendigen Einrichtung des internationalen Gerichtshofs in Den Haag, müßte Bosnien unter UNO- Protektorat gestellt werden und gegen alle Seiten gleichsam vorgegangen werden. Ziel dieses Protektorats könnte es nur sein, Jugoslawien zu rekonstruieren und durch eine moderne Verfassung (Beispiel Belgien) mit Teilautonomien für die einzelnen Republiken lebbar zu machen. Für einen solchen Beitrag könnte meines Erachtens auch, im Rahmen der UNO-Truppen, die Bundesrepublik Truppenteile entsenden. Unter den heutigen Bedingungen, Unterstützung einer verbrecherischen Kriegspartei gegen eine andere verbrecherische Kriegspartei, halte ich dies für eine einseitige und ungerechtfertigte Parteinahme zugunsten der bosnischen Muslime; den betroffenen Menschen wird nicht durch militärische Abenteuer geholfen, sondern durch eine konsequente Umsetzung des UN-Mandats und des Waffenembargos gegen alle Seiten und ein begrenztes militärisches Vorgehen gegen Verstöße, gegen Abmachungen und Vereinbarungen, ebensfalls bei allen Seiten.

Als junger Europäer habe ich kein Interesse daran, durch Friedensunfähigkeit und Nationalismus der alten und neuen Eliten auf dem Balkan um die Vision eines sich einigenden und multikulturellen Europas beraubt zu werden. [...] Siebo M. H. Janssen, Köln