Tote in die Oder

■ An der deutsch-polnischen Grenze werden ertrunkene Flüchtlinge zurück ins Wasser gestoßen

Nicht weit vom Ufer drehen sich Blätter ohne Entrinnen im Kreis. Das Wasser hat Löcher hier wie Mulden in losem Sand. Eine Plastikdose mit grünem Deckel kommt angeschwommen, schießt auf die rotierenden Blätter zu, dreht sich mit, löst sich wieder und ist in einer halben Minute aus dem Blickfeld verschwunden. Mücken und Libellen schwirren im Sonnenlicht dicht über dem Wasser. Tagsüber.

Die, die nachts kommen, sehen die Strudel nicht, auf denen sich die Blätter drehen, bis sie zerfetzt sind. Und nichts zeigt ihnen an, mit welchem Tempo der Grenzfluß der Ostsee zustrebt.

Sechs Flüchtlinge sind in diesem Jahr ertrunken bei dem Versuch, durch Oder und Neiße von Polen nach Deutschland zu gelangen. Im vergangenen Jahr waren es zwanzig. Mindestens.

Und in Ratzdorf, Wellmitz und Brieskow-Finkenherd, von Frankfurt (Oder) bis Eisenhüttenstadt ist es ein offenes Geheimnis, daß die angeschwemmten Toten schon mal zurück in den Fluß gestoßen werden.

Der Leiter eines Amtes in Neuzelle weiß sogar wie: „Mit Bohnenstangen.“ Denn die Leichen sind für die Gemeinde teuer; sie müßten gekühlt aufbewahrt werden, in Zinksärgen zurück in die Heimat der Ertrunkenen gebracht werden. Da kommen schnell 10.000 Mark zusammen: „Für eine kleine Gemeinde wie Wellmitz ist das tödlich.“

Reportage Seite 11