Giftprozeß wird wiederholt

■ Bundesgerichtshof hebt Urteil im Holzschutzmittelprozeß auf

Karlsruhe/Berlin (AFP/taz) – Der bisher größte deutsche Umweltprozeß erlebt eine Neuauflage. Im Holzschutzmittelprozeß hob der Bundesgerichtshof (BGH) gestern die Verurteilung der beiden Ex-Geschäftsführer der Chemiefirma Desowag wegen eines Verfahrensfehlers auf und verwies den Fall zur Neuverhandlung an das Frankfurter Landgericht. Die dortigen Richter hatten im Mai 1993 Kurt Steinberg und Fritz Hagedorn wegen fahrlässiger Körperverletzung und der Freisetzung von Giften zu einem Jahr Haft auf Bewährung und einer Geldbuße von je 120.000 Mark verurteilt.

In dem Prozeß ging es um Gesundheitsschäden, unter anderem am Zentralnervensystem, die Tausende von Häuslebauern und Heimwerkern nach der Anwendung der Desowag-Holzschutzprodukte Xylamon und Xyladecor erlitten hatten. Die Desowag-Manager hätten von den Gesundheitsgefahren gewußt und dennoch ihre Produkte weiter verkauft. Das Urteil galt als wegweisend, weil die Richter auf den exakten wissenschaftlichen Nachweis eines Zusammenhangs zwischen der Anwendung der Mittel und den vielfältigen Krankheitsbildern verzichtet hatten. Es öffnete Tausenden von Zivilklagen auf Schadenersatz die Tür.

Die Bundesrichter begründeten die Aufhebung des Urteils jedoch gar nicht mit wissenschaftlichen Argumenten. Vielmehr folgten sie dem Revisionsantrag der Verteidiger, daß ein zentraler Gutachter der Klägerseite befangen sei. Die Frankfurter Richter hätten sich zu einseitig auf einen Gutachter gestützt, der bereits vor der Eröffnung des Verfahrens in einem Brief an die Staatsanwaltschaft Stellung für die Geschädigten bezogen hätte.

Für die ehemaligen Desowag-Chefs ist das jedoch bestenfalls ein halber Sieg. Rechtsanwalt Hildebrand Mehrgardt, der die Nebenkläger der Interessengemeinschaft Holzschutzmittelgeschädigter (IHG) vertritt, betonte gestern: „Die Angeklagten wurden vom BGH nicht freigesprochen.“ Ähnlich formulierte das auch der vorsitzende Richter Jähnke.

Auch BGH-Richter zweifeln nicht mehr daran, daß der bis 1978 verwendete Wirkstoff Pentachlorphenol (PCP) sowie das Insektizid Lindan Gesundheitsschäden auslösen. Selbst wenn sich die Naturwissenschaftler nicht einig seien, ob und wie die Gifte auf den menschlichen Körper wirken, so könnten die Frankfurter Richter dennoch „fehlerfrei“ urteilen, daß Holzschutzmittel in bestimmten Fällen zu Gesundheitsschäden geführt haben. Allerdings könnten die Angeklagten erwarten, daß das Gericht ausführlicher als zuvor die unterschiedlichen Lehrmeinungen berücksichtigt. lieb Seiten 3 und 10