Keine mythischen Historienschinken

■ Ein Film und große Fragen: Welchen Nutzen hat die Geschichte des schrillen Bayernkönigs für das Leben? Der „Ludwig“-Regisseur Fosco Dubini im Gespräch

taz: Wie kommen zwei Schweizer, von Hause aus Dokumentarfilmer, dazu, einen Spielfilm über den sagenumwobenen Bayernkönig Ludwig II zu machen?

Fosco Dubini: Auch unsere Dokumentarfilme sind alle Auseinandersetzungen mit Geschichte. Das ist unser grundsätzliches Thema, gerade erst war die 700-Jahr-Feier zum Bestehen der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Wie bei den deutschen Veranstaltungen zum fünfzigjährigen Kriegsende, geht das mit staatstragenden Feiern und Ausstellungen vonstatten. Das Händeschütteln von Mitterand und Kohl beispielsweise – reine Inszenierungen mit politischer Funktion. Mit unserem Film wollten wir zeigen, wie die schweizerischen Mythen um Wilhelm Tell und den Rütli-Schwur von einer anderen mythologischen Figur, nämlich Ludwig, aufgegriffen wird. Daraus resultieren Interferenzen, die uns interessierten.

Deshalb also eine Bildungsreise an die Orte Schweizer Historie?

Auf dem Hintergrund dieser authentischen Begebenheit läßt sich die Wilhelm-Tell-Geschichte einmal ganz anders darstellen, eben nicht monumentalistisch. Nietzsche spricht in seinem Aufsatz „Vom Nutzen der Geschichte“ von drei Weisen der Geschichtsbetrachtung, der monumentalischen, der kritischen und der antiquarischen. Wenn eine der Perspektiven die Oberhand gewänne, nähme das Ganze Schaden.

Welche Rolle spielt die Natur als heimliche Protagonistin neben den beiden Schauspielern?

Die Darstellung der Natur steht im Film in einem engen Zusammenhang mit der Musik. Die Komposition Kevin Volans ist ursprünglich von der südafrikanischen Landschaft inspiriert. Dieser kompositorische Eindruck verändert die reale Landschaft im Film, macht sie künstlich. Die Absicht war, einmal nicht das Schweizer Postkartenidyll zu reproduzieren. Die Landschaft um den Vierwaldstätter See hat ja eine besondere nationale Bedeutung. Im Berner Bundeshaus hängt sie als Monumentalgemälde hinter dem Präsidenten. Das heißt die Landschaft ist ein politisches Emblem, verleichbar der Lorelei oder dem Brandenburger Tor.

Wäre nicht Wagner wegen seiner Beziehung zu Ludwig als musikalisches Thema naheliegend gewesen?

Unser Film ist ja kein Historien- Schinken, sondern ein Konstrukt aus heutiger, moderner Sicht. Wir haben es beim Schnitt mal mit Wagner-Musik ausprobiert, aber der Effekt war eher grotesk. Ich selbst war überrascht, aber es wäre dann ein reiner Slapstick-Film geworden.

Ihr Film erscheint pünktlich zum 150sten Geburtstag Ludwigs. Wie stehen Sie zum folkloristischen Bild des bayrischen Monarchen?

Wir bedienen auf keinen Fall das Klischee vom romantischen Märchenkönig. Wir haben ihn als moderne Figur konzipiert, als Medien-Maniac. Das interessante für uns waren die Bezüge zur Technikgeschichte, die bis in unser Jahrhundert reichen – Ludwig förderte mediale Erfindungen. Er ist bei uns kein Monarch in Prunkgewändern, sondern der feinsinnige Kunstliebhaber, der in Bürgerkleidern auftritt.

Seit zwei Jahren existiert eine rekonstruierte Fassung von Viscontis „Ludwig II“, die wegen homoerotischer Anspielungen zensiert wurde. Inwieweit waren für Sie diese Implikationen zwischen Kainz und Ludwig von Bedeutung?

Unser Konzept war sehr zurückhaltend, wir haben das auf einer latenten Ebene belassen. Trotzdem baut sich eine Stimmung auf, die eindeutig ist. Von den Fakten her läßt sich nichts zweifelsfrei feststellen. Uns hat eher die Verschiebung der Beziehung auf eine literarische Ebene interessiert. Interview: Gudrun Holz