Gojko Mitic und andere Helden

Off-Kino in Berlin, Folge 2: Die Macher des Prenzlberger Blow Up spüren den lokalen Film-Vorlieben nach – und haben Erfolg. Osteuropäisches Kino soll ein Schwerpunkt werden.  ■ Von Thomas Winkler

Als das Kinosterben im Ostteil Berlins schon fast abgeschlossen war, dachten sich Frank Zilm und Rainer Fett, es wäre „doch eine sinnvolle Idee, im Prenzlauer Berg Kino zu machen“. Die Erfahrungen, die sie im „Eisenstein“, dem Kino in der Fabrik Osloer Straße, gewonnen hatten, waren eher frustrierend gewesen. „Du kannst nicht an jeder Stelle Berlins ein Programmkino machen. Im Wedding ist das Umfeld nicht da“, erzählt Zilm, studierter Theaterwissenschaftler, und außerdem sollte es endlich ein eigenes Kino sein. Blow Up sollte es heißen.

Die Suche nach dem Umfeld war schon nach einem halben Jahr erfolgreich abgeschlossen. Geeignete Räume fanden die beiden in einem Gewerbehof in der Immanuelkirchstraße. Trotz der Hinterhoflage und eines extrem unauffälligen Schildes an der Straße ist hier immer was los, weil ein Billard-Saloon über dem Kino schon seit Jahren gut besucht ist.

Schwieriger war es, das Geld aufzutreiben. Die Bestuhlung kam „zwar gebraucht, aber in sehr gutem Zustand“ aus Belgien, die Projektoren und die restliche Technik sind neu. Eine „gute Bank“ und eine „günstige Konstruktion“ sorgten für ungefähr 300.000 Mark, aber der Umbau der Etage zu einem Kino mit zwei Vorführräumen wäre nicht möglich gewesen ohne Eigenleistung und „die Hilfe von vielen Freunden“.

Wegen Problemen mit der Bauaufsicht, die den beiden aber schließlich doch „freundlich entgegenkam“, mußte die Eröffnung um ein halbes Jahr auf den 8. Juni 1995 verschoben werden. Seitdem sehen sich Programmacher Zilm und Fett, der als Medientechniker vor allem für die Apparaturen zuständig ist, in ihrer Auffassung bestätigt, daß in Prenzlauer Berg „ein klassisches Programmkino-Programm mit gelegentlichen Erstaufführungen“ funktionieren kann.

Zwar hat man nach einem fast schon euphorischen Beginn zuletzt das unter Kinobetreibern gefürchtete Sommerloch zu spüren bekommen, aber die beiden Säle mit 100 bzw. 90 Plätzen waren immer noch ausreichend gefüllt. Zilm hat auch keine Angst davor, wenn das FaF, umgebaut zum Mini-Multiplex, wiedereröffnet wird: „Die Gegend könnte auch noch zwei oder drei Kinos mehr vertragen.“ Trotzdem kann es sich das Blow Up bisher noch nicht leisten, das Programm aus den klassischen Repertoirekino-Schienen laufen zu lassen. Der „enorm hohe Kostendruck“ zwingt sie im Moment noch dazu, größtenteils Klassiker zu spielen, ob nun ältere wie „Casablanca“ oder jüngere wie „Wild at Heart“ und „Im Reich der Sinne“.

In finanziell weniger abgesichertes Terrain wagte man sich allerdings auch schon. So mit einigen Serienkillerfilmen wie „Henry – Portrait of a Serial Killer“ und einer John-Waters-Reihe, der das ortsansässige Publikum nicht so recht folgen wollte: „Man merkt schon, daß Waters' frühe Trash- Werke eher im Westen populär sind.“

Beliebter als Waters sind bei den Nachbarn die Defa-Indianer- und -Kinderfilme, die in den letzten Jahren nahezu vollständig aus den Kinos verschwunden waren. Viele Eltern nutzen nun gern die Gelegenheit, im „Indianersommer“ des Blow Up ihren Kindern Gojko Mitic und andere Helden ihrer Jugend näherzubringen. Die Erfahrung, daß im Osten der Nachholbedarf an Westfilmen längst gedeckt ist und sich die unterschiedlichen Vorlieben eher noch verstärkt haben, will sich das Blow Up im kommenden Herbst zunutze machen: „Wir wollen ausführlich russisches Kino vorstellen, auch ungarisches und tschechisches soll auftauchen.“

Aber prinzipiell gilt, daß sich das Blow Up „nicht nur an eine spezielle Klientel richten“ soll. Zilm, der bei sich „keinen besonders großen Hang zum Independent-Film“ diagnostiziert, ist „nicht interessiert an einer ganz speziellen Schublade. Letzlich gibt es nur gute Filme und schlechte Filme. Programmkino-Machen heißt doch, ein Gefühl dafür zu entwickeln, was die Leute gern mal wieder sehen wollen. Und es ist doch wunderbar, wenn auch 50jährige Ehepaare als untypisches Publikum hierherkommen.“ Ob Kino auch einen erzieherischen oder aufklärerischen Anspruch haben sollte, „dieser Diskussion“ ist Zilm längst „müde“.

Die Offenheit nach allen Seiten ist aber nicht nur Konzept, sondern für die beiden Betreiber schlicht bittere Notwendigkeit. Zwar weigert sich Zilm, „ästhetische Filmkriterien aufzustellen“, und spürt „keine Abneigung gegen Hollywood-Kino“, er kann es sich auch gar nicht leisten. Die beiden sind sich bewußt, daß sie „finanziell erledigt wären“, sollte sich ihr Kino nicht rentieren. Mit einer Arbeitszeit von manchmal 100 Stunden wöchentlich ist es sowieso „irgendwann kein Job mehr, sondern ein Aggregatszustand“, erzählt Zilm. „Wir verbringen noch unsere paar Stunden Schlaf zu Hause, ansonsten sind wir hier.“

Blow Up, Immanuelkirchstr. 14, Prenzlauer Berg