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■ Unergründliches Belgien im Hier und JetztÜberschaubarer Hauptwaschgang

Brüssel (taz) – Letzte Woche habe ich mich in Brüssel endgültig als Deutscher geoutet. Mein Waschsalonbesitzer hat mich in flagranti erwischt, wie ich seinem Münzautomaten einen 500-Belgische-Francs-Schein eingeflößt und mir vier Waschmünzen rausgeklickert habe. Der Preis stimmt, das ist nicht das Problem. Aber der Mann wollte nicht einsehen, warum ich vier Münzen brauche, wenn ich doch nur eine Waschmaschine vollkriege.

Während des gesamten Hauptwaschgangs habe ich verzweifelt auf ihn eingeredet, daß die Jetons nicht schlecht werden und daß ich sie ganz sicher in den nächsten Wochen aufbrauche. Außerdem würde mir der Automat für eine einzelne Waschmünze 75 Fünf- Francs-Stücke rausgeben und ich hätte keine Lust auf das Geklimper in den Kniekehlen. Es hat ihn auch nicht überzeugt, daß es im Juli schlicht unmöglich ist, morgens um neun einen Fünfhundert- Francs-Schein zu wechseln. Sämtliche Lebensmittelläden in unserer Straße haben gleichzeitig Betriebsurlaub, und kein belgischer Taxifahrer würde je auf die Idee kommen, für seinen Job Wechselgeld mitzunehmen. Einmal bin ich die zweihundert Meter zum Waschsalon mit dem Bus gefahren, um Kleingeld zu bekommen. Aber der Busfahrer hatte kein Wechselgeld, ich mußte mit der Kreditkarte bezahlen.

Das Vertrauensverhältnis zu meinem Waschsalon ist nun empfindlich gestört. Seit dem Vorfall sprechen mich alle möglichen Leute auf der Straße an und fragen mit frechem Grinsen, ob ich noch ein paar Waschmünzen bräuchte.

Es ist in Belgien absolut unüblich, bis zum nächsten Waschgang vorauszuplanen. Die Belgier sind katholisch und leben ganz im Hier und Jetzt. Selbst die nagelneuen Computer der Belgischen Eisenbahn sind exakt auf den überschaubaren Zeitraum programmiert, den Gott für die Erschaffung der Welt brauchte. Man kann nicht für ein bestimmtes Datum reservieren, weil der Computer das nicht versteht, sondern man muß einen Wochentag eingeben – eine Vorbestellung funktioniert also höchstens sechs Tage im voraus. Wer zwei Wochen später zurückfahren will, hat Pech gehabt: „Sorry, das geht nicht, ich kann hier nur Freitag eingeben, und das ist morgen.“

Die Szenen am Bahnschalter, wenn verzweifelte Ausländer das belgische System einfach nicht verstehen wollen, sind manchmal herzerweichend. Neulich, auf der Fahrt nach Straßburg, teilte uns der Zugführer noch in Brüssel mit, daß wir kurz vor der Grenze eine Stunde warten müßten, weil ein Blitz die Oberleitung zerstört habe. Das sei aber schnell repariert, versprach er. Ein österreichischer Kollege wollte trotzdem wissen, warum man nicht ausnahmsweise eine Diesellok vorspanne – eine Frage, die den Schaffner ziemlich ratlos machte. Die Strecke sei schließlich elektrifiziert, meinte er, und außerdem stünde in Arlon, wo der Blitz eingeschlagen habe, keine Diesellok bereit. Die Reparatur der Oberleitung hat dann doch etwas länger gedauert.

Dem Lokomotivführer ist es vermutlich langweilig geworden, denn nachdem der IC eine halbe Stunde in Arlon gewartet hatte, fuhr er plötzlich drei Kilometer weiter, um die restliche Zeit bis zum Erfolg der Reparaturarbeiten in reizvoller Landschaft abzuwarten. Leider hatten sich ein paar unerfahrene Ausländer auf die Zugansage verlassen und sich an den Bahnhofskiosk gestellt. Wie sie in sengender Mittagshitze versuchten, ihre Koffer einzuholen, die da mitsamt reserviertem Sitzplatz davonrollten, das war schon ein mitreißendes Bild, eine echte Momentaufnahme aus dem unergründlichen Belgien. Alois Berger

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