Andere Sitten

■ Der asiatische Fernsehmarkt wächst rapide – aber es ist immer noch schwer, europäische oder US-Filme dorthin zu verkaufen

In den europäischen TV-Hitlisten finden sich auf den ersten Plätzen überwiegend jeweils einheimische Produktionen. Niemand aus der Fernsehbranche käme auf die Idee, die vielen europäischen Märkte über einen Kamm zu scheren. Asien aber war bei den Produzenten und Rechtehändlern stets bloß Asien.

Dabei ist die Zahl der kompletten Mißerfolge mindestens ebenso lang, wie die der importierten Knüller. Die Zeichentrickserie „Dennis the Menace“ etwa wird in China so bald keine Freunde finden: Der Titelheld ist der Schrecken aller Erwachsenen, weshalb die Chinesen dankend ablehnten; derartiges Verhalten von Kindern, hieß es, sei man nicht gewohnt, da in Asien Ältere stets mit Respekt behandelt würden (wie groß muß da erst das Entsetzen angesichts der Horrorknaben „Beavis & Butthead“ bei MTV gewesen sein ...)

„Empfindlich gegen Sex und Gewalt“?

Aus einem völlig anderen Grund durfte die Kultfigur Bart Simpson auf japanischen Bildschirmen nie ihr Unwesen treiben: Kennzeichen der „Simpsons“ ist neben den Glubschaugen und dem Überbiß der Umstand, daß sie an jeder Hand nur vier Finger haben. Da die japanischen Gangster-Clans der Yakuza die Fehltritte ihrer Mitglieder mit der Amputation des kleinen Fingers bestrafen, kann man sich vorstellen, welch befremdende Wirkung die vierfingrigen Hände der Simpsons in Japan gehabt hätten. Übrigens war Japan auch das vermutlich einzige Fernsehland in der Welt, in dem „Dallas“ kein Einschaltquotenknüller war. Auf der anderen Seite entpuppt sich manch asiatische Beteuerung beim zweiten Hinsehen als Imagepflege. Angeblich haben es westliche Programme in Asien vor allem wegen ihrer Neigung zu Gewalttätigkeit und sexueller Freizügigkeit schwer. So erläutert Robert Chua aus Hongkong, jahrelang praktisch einziges Bindeglied zwischen dem Westen und dem chinesischen Fernsehen und mittlerweile Chef eines eigenen nach China sendenden TV-Kanals (China Entertainment Television): „Wir mögen keine Szenen, in denen Paare bereits fünf Minuten nach ihrem ersten Kuß miteinander ins Bett springen oder in denen Aggressoren als Helden dargestellt werden.“ Tatsache ist aber, daß zum Beispiel in Taiwan das Interesse am einheimischen Kabelpaket rapide sank, als die Behörden den Pornokanal aus dem Angebot entfernen ließen.

So empfindlich, wie die Asiaten angeblich auf Sex und Gewalt reagieren, sind Europäer und Amerikaner beim Thema Zensur. Chua will das differenziert betrachtet wissen. Vor einiger Zeit hat es einen Disput zwischen der BBC und dem TV-Kanal RTM (Malaysia) gegeben. RTM hatte aus einem BBC-Bericht über Rassenauseinandersetzungen in Indonesien eine Passage entfernt, in der ein Chinese aufgehängt und verbrannt wurde.

Die BBC warf RTM Zensur vor und verlangte Richtigstellung, doch RTM, vor die Alternative gestellt, zog es vor, die Zusammenarbeit mit der BBC zu beenden. Auch in diesem Fall, so Chua, sei westliches Einfühlungsvermögen gefragt gewesen: „Auch Malaysia hat seine Erfahrungen mit rassisch bedingten Unruhen gemacht; derartige Szenen würden die potentiellen Spannungen nur schüren.“

Was westliche Beobachter vielleicht als übertrieben empfindlich einstufen, pflegen die asiatischen Länder auch untereinander. So waren zum Beispiel bis noch vor einem Jahr japanische Fernsehproduktionen in Taiwan prinzipiell verboten, ein Zustand, der in Korea heute noch anhält; beide Länder mußten im Zweiten Weltkrieg japanische Besatzung erdulden und haben offenbar bis heute japanischen Kulturimperialismus gefürchtet.

Immerhin lernen westliche Anbieter dazu. So hat zum Beispiel Mary Herne von der Playboy Entertainment Group – einer Firma übrigens, die man angesichts der angeblichen asiatischen Vorbehalte gegen dargestellte Sexualität in diesen Breiten nicht vermuten würde – ihre Hausaufgaben gemacht; auch bei Playboy wird die Ware erst nach einem Zensurakt salonfähig: „Schamhaar muß prinzipiell entfernt werden, bevor unsere Programme nach Japan verkauft werden können.“ (Ms. Herne, so darf man ergänzend vermuten, wird von den in den Filmen sichtbaren Schamhaaren gesprochen haben).

Ein Viertel des Weltwerbemarktes

Warum der Westen dennoch bereit ist, eine Menge Unannehmlichkeiten in Kauf zu nehmen, wird klar, wenn man den asiatischen Markt unter ökonomischen Aspekten betrachtet. Schon heute werden laut Angaben des Marktforschers Survey Research Group, knapp ein Viertel der weltweiten Ausgaben für Werbung in Asien getätigt. Allein der Werbemarkt Südkoreas ist vier Milliarden Dollar schwer; der chinesische Markt soll bis 1996 zehn Milliarden Dollar erreichen.

Auf der anderen Seite werden im Asien des Jahres 2005 zwei Drittel der Weltbevölkerung leben; das Wachstum des Bruttosozialproduktes wird das europäischer Staaten in den Schatten stellen. Zum Vergleich: Seit 1980 ist das BSP in Deutschland um 40 Prozent gestiegen, in China hingegen um 200 Prozent.

Allerdings erhält die Aufbruchsstimmung der westlichen Unternehmer bereits einen kräftigen Dämpfer. Während amerikanische Produktionen 1993 in Europa 1,8 Milliarden Dollar einfahren konnten, beschränkten sich ihre Umsätze in Asien auf vergleichsweise läppische 200 Millionen Dollar. Tom Devlin von Hearst Entertainment macht seiner Frustriertheit Luft: „Gerade Indien will am liebsten gar nichts bezahlen. 900 Millionen Zuschauer – und dann zahlen sie 400 Dollar für eine 30-Minuten-Folge von ,Popeye‘. Da kann ich ja in Jamaika mehr Geld verdienen.“ Tilmann P. Gangloff