Minister Rexroth tölpelt über die EU-Verträge

■ EU-Kommissionspräsident Jacques Santer rügt die deutsche Bundesregierung

Brüssel (taz) – Die Eurobeamten staunten nicht schlecht: Soviel Dummheit hatten sie dem deutschen Wirtschaftsminister nicht zugetraut. In einem Schreiben an die Europäische Kommission beklagt Rexroths Ministerialdirektor Gerhard Rambow, daß die Kommission eine Richtlinie vorbereitet, die das Recht auf Garantie und Kundendienst auch bei Waren sichert, die im Ausland gekauft wurden. Das gehe zu weit, meint Rambow und teilt der Kommission mit, die Kollegen vom Justizministerium hätten „die deutschen Kommissionsmitglieder angewiesen, dem Entwurf nicht zuzustimmen“.

Nun hatte man das in Brüssel ohnehin vermutet. Aber daß ein deutsches Ministerium diesen Rechtsbruch auch noch schriftlich einräumt, das verwunderte dann doch. Denn nach den Europäischen Verträgen haben die Kommissare unabhängig zu sein und dürfen keine Weisungen von ihren Heimatregierungen annehmen. Die Mitgliedsländer der Europäischen Union haben sich sogar verpflichtet, jeden Versuch zu unterlassen, Einfluß auf ihre Kommissare auszuüben.

Die 17 Kommissare sind eine Art unabhängige Regierung der Europäischen Union. Sie sollen mit Gesetzesentwürfen die Europäische Integration voranbringen. Diese Entwürfe müssen dann noch vom Ministerrat, wo die Mitgliedsregierungen vertreten sind, und vom Europäischen Parlament beschlossen werden. Der Ministerrat kann nur Richtlinien und Verordnungen beschließen, die von der Kommission vorgeschlagen wurden, und er kann solche Vorlagen nur noch einstimmig ändern.

Doch soviel Einigkeit ist selten. Und so haben die einzelnen Regierungen ein starkes Interesse, schon bei den Entwürfen mitzureden – auch wenn das nicht erlaubt ist. Mit der Unabhängigkeit der Kommissare ist es daher nicht weit her. Fast alle Regierungen halten engen Kontakt zu den Kommissaren, die sie schließlich selbst ernannt haben. Manche Kommissare, vor allem, wenn sie gerne für eine weitere Amtszeit in Brüssel bleiben würden, lassen sich dabei etwas mehr einflüstern als andere. Die beiden deutschen Kommissare, Martin Bangemann und Monika Wulf-Mathies, galten allerdings bislang als besonders resistent gegenüber Wünschen aus Bonn. Um so unangenehmer für sie, von Rexroths Rambow so bloßgestellt worden zu sein. Der Europäische Verbraucherverband hat den Kommissionspräsidenten Jacques Santer nun aufgefordert, wegen Verletzung des Artikels 157 der Europäischen Verträge gegen Bonn vorzugehen. Und tatsächlich hat Jacques Santer reagiert: Gestern rügte er die Bundesregierung in einem offenen Brief. „Höflich und sachlich“, sagte ein Sprecher, habe Santer auf die Unabhängigkeit der EU-Kommissare verwiesen. Dabei munkeln in Brüssel viele, daß der konservative Luxemburger stärker unter dem Pantoffel von Bundeskanzler Kohl steht als die beiden deutschen Kommissare. Kohl war es, der die Ernennung Santers als Nachfolger von Delors bei den anderen Regierungschefs durchgedrückt hat. Es ist ein offenes Geheimnis, daß Santer den Konflikt mit seinem Förderer aus Oggersheim scheut. Nur schriftlich wird man das nirgends finden. Alois Berger