„Sie kann sich vom Vater befreien“

■ Der Sportpsychologe Fritz Stemme zur Krise der Tennisfirma Graf

taz: Herr Stemme, der Papa schmachtet im Kerker, die Tochter drischt bei den US Open auf die Filzkugel. Kann Steffi jetzt noch Tennis spielen?

Fritz Stemme: Das frage ich mich auch. Eine Zeitlang mag das gutgehen, dann wird sich das Seelische dynamisch zurückmelden. Und dann wird etwas passieren.

Was?

Ich vermute, daß Sie psychosomatisch reagieren wird. Sie wird krank, oder – und das halte ich für das Wahrscheinlichste – die Rückenverletzung bricht wieder auf. Im schlimmsten Fall kommt es zum Zusammenbruch à la Seles.

Jede Krise ist eine Chance. Welche Chancen hat Steffi?

Sie kann sich von ihrem Vater distanzieren, sich befreien. Vielleicht tritt sie ja vor die Presse und stellt sich der Situation. Die Gefahr ist, daß sie dann etwas Dummes sagt und alles noch schlimmer macht. Es ist schwer vorherzusagen, wie Menschen im Spitzenbereich in solchen Grenzsituationen reagieren. Im Tierreich gibt es den Totstellreflex: Steffi muß sich ja nicht totstellen, aber sie kann so tun, als wäre nichts geschehen und einfach weiterspielen.

Welchen Rat geben Sie ihr?

Sie sollte sich einen Therapeuten ihres Vertrauens suchen und mit ihm die Dinge ruhig durchsprechen. So kann sie ihr Seelisches stabilisieren. In den USA wird heute keine befreite Geisel mehr ohne Gesprächspsychotherapie nach Hause entlassen.

Für Steffi Graf ist dies nicht die erste traumatische Erfahrung mit dem Vater. Wie hat sie die Erpressungs- und Callgirl-Affäre verarbeitet?

Damals hat sie mit körperlichen Gebrechen reagiert, für die es organisch keine Ursachen gab. Das war psychosomatisch bedingt und wird ganz sicher wiederkommen.

Wird sie jetzt zurücktreten?

Das wäre naheliegend, aber da wäre sie sehr schlecht beraten. Das würde ihr Ego kurzzeitig befriedigen, mehr nicht. Spitzensportler nehmen etwa vier- bis fünfmal ihren endgültigen Abschied. Bei Steffi wäre es verständlich, denn sie hat ja alles erreicht.

Turniere werden im Kopf entschieden. Dann müßte sie jetzt in Flushing Meadows in der ersten Runde rausfliegen.

Es gibt zwei typische Reaktionen: Die einen können gar nichts mehr leisten, die anderen lenken die Affekte und ihre ganze Energie in eine sportliche Leistung um und wachsen über sich hinaus.

Papa im Knast als Doping?

So was gibt es tatsächlich. Interview: Manfred Kriener