Im Rausch der Worte

■ Max Goldts vielumschwärmte Glossen kommen auf die Bühne – im Jungen Theater

„Eigentlich braucht es eine richtige Rampensau, die sich vorne hinstellt und alles gibt, sich selbst mit vollen Händen ans Publikum verschenkt.“ Nomena Struß weiß, was die Stunde geschlagen hat. Nach nur vier Wochen Probenzeit steht mit „Das neue Kleid kriegst trotzdem du“ die neueste Produktion im Jungen Theater kurz vor der Premiere. Hinter dem wenig einprägsamen Titel verbirgt sich nicht nur ein Comedy-Nummernprogramm nach dem Motto: „Comic meets Theater“. Das Stück ist auch eine Antwort auf das leidige Thema „Sommertheater in Bremen“. Die Größen der Szene geben Rückendeckung bei diesem Schachzug: Comic-Zeichner Marcus Huber fungiert als Bühnenbildner und auch die Texte des Abends wollen das Publikum locken: Gedichte und Songs von Friedhelm Kändler verbinden sich mit der „Radiotrinkerin“ von Kultautor Max Goldt.

„Kurz nach dem Mauerfall oder so“ habe sie Max Goldt selbst kennengelernt, erinnert sich die Regisseurin Nomena Struß an die Situation in Berlin. „Aber, ehrlich gesagt, hat mich das erst nicht besonders beeindruckt. Goldt trat damals mit Wiglaf Droste und seiner ,Butterfahrt nach Stalingrad' auf. Der kam schon total besoffen zur Vorstellung mit dem Taxi.“ Hinterher habe man dann noch mit gemeinsamen Freunden zusammengesessen. Goldt habe ihr damals eine Cassette mit seinen Texten in die Hand gedrückt. „Gehört hab ich sie aber erst viel später, beim Umzug, da fallen einem ja solche Dinge in die Hand. Und ich habe dann gemerkt, was in den Texten drin ist, wie gut die wirklich sind.“

Max Goldts „Radiotrinkerin“ ist mittlerweile zum Kulttext avanciert. Zu absurd ist die Szenerie im Studio, milimetergenau getroffen ist die entnervende Verbindlichkeits-Rhetorik des Moderators. Da wird uns in einem Hörstück das „Hintergrundgespräch“ mit einem Gast – „genauer: Gästin“ – aufgezeichnet, die es zu lokaler Berühmtheit gebracht hat. Mit hochdosierten Alkoholgaben gelingt es der Radiotrinkerin, sich einmal pro Woche vorm offenem Mikro restlos zu besaufen und die Zuhörer durch immer hemmungslosere Äußerungen an den inneren Zuständen eines hochgradigen Rausches teilhaben zu lassen. Max Goldts Fantasie balanciert dabei lustvoll auf der Grenze zur Peinlichkeit. Das hat ihm die Hochachtung der schreibenden Kollegen als auch die Liebe der Leser eingetragen.

Goldts Schmuckstücke sollen sich nun auf der Bühne anderen Gedichten von Friedhelm Kändler reiben, den Struß entdeckt hat. Die Gedichte und Lieder des in Hannover lebenden Kändler haben fast etwas Altmodisches, erinnern an Ringelnatz, so fein, wie sie gearbeitet sind. Wie aber inszeniert man Texte von guten Autoren, die schon in sich eine Lesefreude darstellen? Zumal sie bundesweit mit großem Erfolg vorgelesen werden, wie im Falle von Goldt? „Wir haben bei einigen Texten gemerkt, daß sie so gut sind, daß sie uns Schauspieler eigentlich nicht brauchen“, sagt die Regisseurin; „andere aber sind schon Szenen in sich, da fällt es leicht zu spielen.“ Man müsse nur acht geben, daß man Nummern wie den „Blödmann“ von Goldt etwa nicht zu dick spiele, als Rampensau etwa, sondern auch hier den Zusammenhang mit dem Ensemble halte; schließlich stehen insgesamt drei SchauspielerInnen auf der Bühne im Jungen Theater.

Nun steht die Premiere ins Haus, Mittwochabend geht der Vorhang hoch. Die SchauspielerInnen Friederike Füllgrabe, Lutz Gajewski und die Solo-Kabarettistin Margot Müller haben die Texte unterdessen zu einem Stück zusammengeschmiedet, das mehr sein will als eine Abfolge von Nummern mit Musikuntermalung. Dabei kommt dem Musiker Mark Scheibe eine entscheidende Bedeutung zu: Durch seine Musik entstehen kleine dramaturgische Szenen ohne Worte. Ganz stumm tritt der Augenschmaus an die Stelle des Texts. Wie im Swimmingpool-Interieur des Bühnebildners Marcus Huber, der die Bühne in ein ausgelaufenes Schwimmbad verwandelt hat. Passenderweise wird in einer Szene ein Wasserballett auf dem Trockenen geschwommen. Das zählt zu den Besonderheiten des Abends: daß man zwischen den hochgezüchteten Sprachpirouetten von Goldt und Kändler ab und an quietschbunte Schwimmflossen aufblitzen sieht. Susanne Raubold

„Das neue Kleid kriegst trotzdem du“, Premiere am Mittwoch, 9.8., 20.30 Uhr im Jungen Theater