Geldstrafen wegen Gedenkprotesten

■ Relativ milde Strafen gegen die Besetzer der Neuen Wache / Verfahren wegen Widerstands und Beleidigung eingestellt / Angeklagte wollten sich nicht juristisch, sondern politisch verteidigen

Im Prozeß gegen die BesetzerInnen der Neuen Wache Unter den Linden wurden gestern die Urteile gesprochen. Nach der Verlegung der Verhandlung in den panzerglassicheren großen „Staatsschutzsaal“ und den Streitigkeiten zwischen Richter Obermaier und den Angeklagten hatte es zunächst nach einem zähen Procedere ausgesehen.

Dann aber wurde überraschend zügig und mit relativ niedrigem Strafmaß verfahren. Die Tatvorwürfe des Widerstands und der Beleidigung wurden eingestellt, es blieb der Straftatbestand des Hausfriedensbruchs. Geldstrafen von 15 Tagessätzen zwischen 15 und 30 Mark wurden verhängt. Zum Hintergrund: Am 9. November 1993 hatten Mitglieder der Antirassistischen Initiative, des Berliner Auschwitz-Komitees und des jüdisch-deutschen Vereins Mesulash als Ausdruck ihres politischen Protests die Neue Wache besetzt. Anlaß war die Neugestaltung des von Kanzler Kohl eingeweihten ehemaligen Kriegsdenkmals. Auf zwei neuangebrachten Tafeln wird in einem Atemzug der toten Soldaten von Hitlers Angriffskrieg, also auch Wehrmachtsangehörigen aus SS und SA, sowie der ermordeten Juden, aller anderen Verfolgten und des Widerstands gedacht – und zwar in dieser Reihenfolge.

Um gegen die „Ineinssetzung von Opfern und Tätern“ öffentlich zu protestieren, hatten sich die BesetzerInnen an die Eisengitter des Schinkelbaus gekettet. Es folgte eine gewaltsame polizeiliche Räumung, die Demonstranten wurden von der Polizei weggetragen. Gegen neun der Beteiligten wurde Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und in einem Fall wegen Beleidigung erhoben.

Strategie der BesetzerInnen war es, ihre Aktion nicht kriminalisieren zu lassen, sondern auf dem politischen Inhalt zu insistieren. Demzufolge lehnten sie das im Vorfeld des Prozesses gemachte Angebot, sich beim Polizeipräsidenten für ihr Verhalten zu entschuldigen, ab. Die Aussagen der PolizeizeugInnen während des Prozesses waren auffallend zurückhaltend und schwammig, so daß sich die in der Anklage erhobenen Vorwürfe des gewalttätigen Widerstands gegen die Polizei und der Beleidigung darauf nicht stützen konnten.

Die Angeklagten hatten auf eine anwaltliche Verteidigung verzichtet und statt dessen eine Prozeßerklärung vorgetragen, die noch einmal ihre Kritik an „der geschichtsrevisionistischen Tendenz“, der die Neue Wache entspreche, unterstrich. In der Verhandlungspause wurde von seiten des Richters noch einmal der Vorschlag gemacht, sich während des Prozesses öffentlich zu entschuldigen und damit eine Einstellung des Verfahrens zu erzielen. Die Angeklagten lehnten dies ab.

Richter Obermaier belehrte die Angeklagten bei der Urteilsbegründung noch über ihr Recht auf politische Meinungsäußerung, „aber Sie müssen sich eben an die für alle Bürger verbindlichen Regeln halten“. Hatten die BesetzerInnen ihm in der Prozeßerklärung noch zugerufen: „Vermasseln Sie es nicht!“, werteten sie den Ausgang des Prozesses positiv, da sie sich erfolgreich geweigert hätten, der Kriminalisierung oder Entpolitisierung ihres Protestes zuzustimmen. Gudrun Holz

(siehe auch Foto auf Seite 29)