Serben droht Illegalität oder Krieg

■ Heckelmann will keine Duldung für Flüchtlinge aus Restjugoslawien / Parlamentsbeschluß strittig

Eine generelle Duldung serbischer Flüchtlinge aus Restjugoslawien hält Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) für nicht rechtmäßig. Damit widerspricht er einer mit Mehrheit von SPD, Grünen, FDP und PDS verabschiedeten Empfehlung vom 22. Juni, die eine solche Aufenthaltsregelung vorsieht. „Der Inhalt der Empfehlung ist rechtlich bedenklich“, stellt Heckelmann nach einer dreiwöchigen juristischen Prüfung des Parlamentsbeschlusses in einem Gespräch mit der taz fest.

Die serbischen Flüchtlinge geraten damit nach Ansicht der Ausländerbeauftragten Barbara John (CDU) in einen „rechtlichen Schwebezustand“, weil sie ohne Duldung keinen geregelten Aufenthaltsstatus erhalten, aber auch nicht zwangsweise in ihre Heimat abgeschoben werden. Ohne Duldung hätten die etwa 4.000 Serben aus Restjugoslawien in Berlin keinen Anspruch auf Sozialhilfe und auf eine Arbeitsvermittlung.

Bei bosnischen und kroatischen Flüchtlingen hält Heckelmann den Duldungsstatus mittlerweile für unstrittig. Er will nur den Restjugoslawen die Duldung verweigern. „Es geht um die Aggressorseite, in Serbien herrscht kein Kriegszustand“, sagt der Innensenator.

Seit Ende Juli müssen sich Staatsbürger aus Restjugoslawien laut einer Weisung des Innensenats wieder einer Einzelfallprüfung bei der Ausländerbehörde unterziehen, wenn sie ein Bleiberecht erstreiten wollen. „Die Duldung ist rechtlich nicht möglich“, meint Heckelmann und führt zwei Gründe an.

Erstens: Soll eine Duldung gewährt werden, muß die Abschiebung in die Heimat der Betroffenen „rechtlich und tatsächlich“ unmöglich sein, so der Juristenjargon. Dies trifft nur dann zu, wenn auch eine freiwillige Ausreise nicht vollzogen werden kann. In rechtlichem Sinn besteht damit kein Abschiebungshindernis, argumentiert Heckelmann. Denn mit dem Roten Kreuz seien im vergangenen Jahr 681 Personen freiwillig nach Serbien zurückgekehrt.

Zweitens: Die Duldung ist an die Bedingung der tatsächlich unmöglichen Abschiebung geknüpft. „Real läuft aber, daß im vergangenen Jahr und 1995 bis Ende Juni fast 200 Abschiebungen durchgeführt wurden, und zwar direkt oder auf Umwegen“, erklärt er.

Die Ausländerbehörde sei nun angewiesen, in Einzelfallprüfungen einzutreten und Gefährdungsaspekte etwa bei der Rückkehr serbischer Deserteure zu berücksichtigen. Nicht zuletzt gebe es eine einheitliche Rechtssprechung des Oberverwaltungsgerichts (OVG). „Daran müssen wir uns halten. Ich habe das Gesetz anzuwenden“, sagt Heckelmann.

Ganz so einheitlich ist die Berliner Rechtsprechung allerdings nicht: Der „Ausreißer“ ist laut Heckelmann die 35. Kammer des Verwaltungsgerichts, die den serbischen Flüchtlingen häufig eine Duldung zuerkennt. Das OVG hebe diese Beschlüsse allerdings regelmäßig wieder auf.

Erst am 27. Juni, nach der Empfehlung des Parlaments, hatte der 8. Senat beim Oberverwaltungsgericht die Klage eines Staatsbürgers aus Restjugoslawien auf Duldung in zweiter Instanz abgewiesen. „Die Rückkehr auf freiwilliger Basis war möglich“, sagt der Vorsitzende des 8. Senats Küster. Es finde ein reger Flugverkehr statt. In Berlin fehlt es an einer generellen Anordnung der Duldung seitens des Innensenats.

Etwa die Hälfte der abgelehnten Serben beantragen politisches Asyl. Damit erhält der Bund die Zuständigkeit für die Flüchtlinge. Alle Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Gesamtjugoslawien kosten den Berliner Haushalt jährlich rund 600 Mio. Mark.

Die faktische Abschiebung und freiwillige Ausreise kann die Ausländerbeauftragte Barbara John nicht bestätigen: „Die Flüchtlinge erhalten eine Ausreisaufforderung, werden aber nicht zwangsweise abgeschoben. Manchmal bringt man sie noch zum Flughafen“, sagt John. Die Serben würden in Belgrad gar nicht aufgenommen. Den Flüchtlingen in Berlin sei die Situation bekannt, und deshalb würden diese nicht freiwillig zurückkehren.

„Die freiwillige Einreise ist gar nicht nachweisbar“, kritisiert der Rechtsanwalt Peter Meyer, Experte für Ausländerrecht. Viele würden in Berlin zwar die freiwillige Ausreise angeben, diese aber nicht tatsächlich vollziehen. Die Angst vor der Abschiebung, die eine Rückkehr nach Deutschland unmöglich macht, sei sehr groß. Wenn die Serben aus Restjugoslawien über Drittländer wie Ungarn oder Bulgarien einreisen, sei fraglich, ob sie tatsächlich heimfahren. Viele würden den Aufenthalt in den Drittländern dazu nutzen, um bei nächstbester Gelegenheit ihre Rückkehr nach Deutschland zu organisieren. Politisches Asyl würde Kriegsflüchtlingen kaum zuerkannt, so der Anwalt.

„Solange die Sachlage strittig ist, wäre eine klare Duldungsregelung das Beste. In diesem rechtsfreien Zwischenraum geraten die Flüchtlinge in eine soziale Grauzone. Das ist nicht gut“, kritisiert die Ausländerbeauftragte John. Silke Fokken