piwik no script img

Ende eines Mythos

■ "Hiroshima - Wie Truman lernte, die Bombe zu lieben" Eine Dokumentation am Sonntag um 23.30 Uhr in der ARD

Vor allem gilt es, einen Mythos zu demontieren. Harry S. Truman, der im April 1945 das Präsidentenamt als Vize vom verstorbenen Roosevelt übernommen hat, befahl nicht nur als erste größere Amtshandlung den Abwurf zweier Atombomben über Japan. Dies allein hat niemals wirklich an seinem Heldenbild gekratzt, das ihm sogar ein Museum in seiner Heimatstadt Independence eingebracht hat; vielmehr wird er immer noch als Sieger des Krieges, als Gründer der Nato und Wiedererbauer Europas gefeiert.

Aber jetzt wird das Ausmaß des Despotismus deutlich, mit dem sich Truman bei seiner Hiroshima- Entscheidung über Parlament und Militärführung hinwegsetzte, und vor allem, daß er, der unerfahrene Emporkömmling von Gnaden der Mafia, praktisch eine Marionette seines politischen Ziehvaters und späteren Außenministers James F. Byrnes war.

Dessen Aufzeichnungen und die des Kriegsministers Henry L. Stimpson wurden vor kurzem endlich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, ebenso wie die anderer Protokollanten jener historischen Sitzungen im Sommer 1945 – dies auch dank des US-Historikers Gar Alperovitz, auf dessen Büchern dieser Film basiert.

Die Dokumentation zeichnet zunächst die zwielichtige Biographie Trumans nach, um schließlich mittels Bilddokumenten, Äußerungen von Zeitzeugen sowie Spielszenen minutiös die letzten Tage vor dem Abwurf auszubreiten. Dabei erliegt die Filmautorin Elke Jeanrond nicht der Faszination der makabren Spannung, die darin liegen mag, sondern bleibt auf gehöriger Distanz. In einer Szene läßt Byrnes nicht nur seine Worte, sondern auch seine Gesten von Truman imitieren, damit dieser überzeugender wirke. Selbst dieses groteske Schauspiel sei, so die Autorin, in den Quellen nachzulesen. Trumans Selbstherrlichkeit und wie er seine Minister und Berater mundtot macht, lassen gleichwohl immer wieder an die Endphase des soeben geschlagenen deutschen Kriegsherrn denken.

Der zähe Mythos, die Bombe habe Tausenden amerikanischen GIs das Leben gerettet, ist ohnehin nicht zu halten. Der Krieg war, das steht längst fest, für Japan schon verloren. Vielmehr mußten Hunderttausende Japaner ihr Leben lassen, weil ein alter Haudegen und sein Handlanger den Sowjets ihre Überlegenheit demonstrieren wollten – ohne freilich zu ahnen, daß diese bereits seit Jahren ihre Informanten in Los Alamos sitzen hatten.

Der Film bringt nicht nur die neu entdeckten Fakten in einen plausiblen Kontext, er erlaubt auch einen Einblick in das Seelenleben der Politiker: die zutiefst irrationalen Beweggründe, die selbst hinter derart weitreichenden Entscheidungen stehen, und den Einfallsreichtum, mit dem hinterher nach rationalen Rechtfertigungen gesucht wird. Oliver Rahayel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen