Dummy, ergo sum

Über hundert Redakteure werkeln beim Bauer-Verlag an einer Nullnummer nach der anderen für das Nachrichtenmagazin „Ergo“ – aber Verleger Heinz Bauer zögert und zaudert: An den Kiosk oder lieber dichtmachen?  ■ Von Michael Rediske

Geschenke, besonders wenn sie symbolträchtig sind, erhalten die Freundschaft. Das Dartspiel, das Michael Gatermann zu seinem letzten Geburtstag bekam, war schon eine scharfe Nummer. In die Zielfelder hatte der Schenkende drei Konterfeis montieren lassen: die der Chefredakteure von Spiegel, Focus und Stern. Gatermann hat die gleiche Position bei Ergo, dem bisher nur in zahlreichen Nullnummern („Dummies“) existierenden Nachrichtenmagazin des Bauer-Verlages.

Der den Blattmacher Gatermann da anstacheln wollte, mit spitzen Pfeilen auf die Konkurrenz zu zielen, heißt Wil Blok und ist sein Verlagsleiter. Anstacheln tut tatsächlich not, denn der Redaktion geht die Puste aus. Seit Mitte 1993 sitzt man an dem Projekt, noch nie haben so viele Journalisten (über 100) so lange für den Papierkorb gearbeitet.

Längst werden sie als „Trainingsweltmeister“ verspottet, und Politiker, bei denen sie schon zum dritten Mal um ein Interview für eine ihrer Nullnummern anklopfen, lassen höflich ausrichten: „Kommen Sie doch wieder, wenn Ihr Blatt gedruckt wird!“

Doch ob das Blatt mit dem Titel für die humanistisch gebildete Infoelite noch an den Kiosk kommt, kann nur einer entscheiden: Verleger Heinz Bauer, dem 96 Prozent des Unternehmens gehören. Bisher füllte sich seine Kasse vor allem mit Hilfe von Arsch&Titten-Blättern, konservativen Frauen- und TV-Zeitschriften. Jetzt aber sollte ein seriöses Nachrichtenmagazin den Verlag aus der Schmuddelecke holen.

Dafür kaufte man zwei Chefredakteure ein: Michael Gatermann (einst beim Manager Magazin) und Hartmut Volz, der in Österreich das Nachrichtenmagazin News mit aufgebaut hatte. Im Jahr 1 nach Focus kam allerdings nicht nur Bauer, sondern auch die Konkurrenz – Springer und Gruner + Jahr – auf eine naheliegende Idee: Infoeliten zu erfinden und zum Kaufen zu bringen konnte doch so schwer nicht sein.

Alle rührten lauthals die Werbetrommel für ihre Info-Nachrichten-Enthüllungs-Magazin-Illustrierten. Den Wettlauf gewann Ex-Bild-Chef Hans-Hermann Tiedje mit Tango – aber wie. Statt der versprochenen Innovation fand ein fades Einerlei an den Kiosk, mit einer gut aufgewärmten Titelgeschichte über Steffi Grafs diverse Zipperlein.

Tango kam, verlor und verschwand. Und mit ihm der letzte Funken Vertrauen der Bauer-Manager in ihr Projekt. Jetzt hatte die journalistische Spitze nichts mehr zu melden. „Die Chefredaktion ist in einer beneidenswerten Lage“, sagt Willy Theobald, der als Kulturchef zu den Ergo-Machern der ersten Stunde gehörte, „sie braucht keine Entscheidungen zu treffen. Das übernimmt ein kleiner Zirkel von Verlagsmanagern, der von einem Nachrichtenmagazin so viel Ahnung hat wie die Kuh vom Stricken.“

Kuh strickt Nachrichtenmagazin

Um genau zu sein: Die Kuh entschied auch nichts, sondern überließ das Blattmachen den Marktforschern mit ihren „Copytests“. Dummerweise schnitt Ergo im Direktvergleich mit Spiegel undFocus nie gut genug ab. Wenn diese bei der Schulnote zwei minus lagen, war Ergo immer ein Stück dahinter. Eigentlich kein Wunder bei einem unbekannten Blatt. Doch statt dessen wurde das Blatt wieder umgekrempelt. Zu viele Probeleser überblättern die Kulturseiten? Bitte sehr – dann ist Kultur eben ruck, zuck „kein primäres Sehnsuchtsgebiet des Lesers“ mehr, die Kulturredaktion wird aufgelöst.

Das geht selbstverständlich nur, weil man so genau weiß, wer der ideelle Gesamtleser von Ergo ist. Damit die Redakteure sich an ihm ausrichten, hat Bauers „Research & Consult“ ein sogenanntes Interview mit „Jürgen Rasch“ produziert. Und der lebt so, wie er heißt: als leitender Einkäufer seiner Firma hat er wenig Zeit. Wenn er abends heimkommt, dann „liegt die Frau schon im Bett“. Geht er morgens aus dem Haus, „dann liegt sie immer noch im Bett“.

Manche Redakteure beklagten, daß sie über Frau Rasch nicht mehr wußten. Doch wozu: Sie sollen ja für ihren Ehemann schreiben. Im Beruf völlig eingespannt, kommt bei ihm erst am Wochenende das Privatleben zu seinem Recht: „Wenn ich an meinem Motorrad bastle oder einfach mal so mein Auto auf 200 hochjage, das macht schon Spaß.“ Und wenn gerade mal nicht, dann „ist alles auf meine Familie bezogen“.

Seit alle Ergo-Artikel auf das „Ego-Involvement“ von Herrn Rasch achten müssen, gibt es neben den Redaktionen Politik und Wirtschaft nur noch eine dritte, und die heißt „Privat“. Ihre Kennfarbe im Blatt ist grün – schließlich ist Rasch ein „positiver Mensch“. Vor allem aber ist er durch und durch rational: „Planen, strukturieren, organisieren, anpacken, kein Urteil abgeben, wenn man sich nicht sachverständig fühlt, das ist meine Welt.“ Da erkannten die Bauer-Manager sich selbst wieder, und das gefiel ihnen.

Leider aber nicht allen Lesern bei den Copytests (den Leserinnen möglicherweise noch weniger). Vielleicht war ihnen Ergo doch zu glatt, zu rational, zu synthetisch. Wo Ironie streng verboten ist – sie könnte ja irritieren und das schnelle Lesen von Herrn Rasch aufhalten –, ist auch Langeweile nicht weit. Da läßt sich allerdings nur spekulieren, denn die 25 Dummies, die in der Redaktion zirkulieren, werden nur gegen Unterschrift ausgeliehen und abends wieder eingesammelt.

Der neugierige Outsider darf nur soviel erfahren: Das Format ist vom Spiegel, die Titeloptik von Focus. Irgendwie will man „dazwischenliegen“ – nicht so nüchtern wie der Spiegel, nicht so mit Graphik überladen und unübersichtlich wie Focus. Weniger dick als die beiden (auf 180 Seiten „das Wichtigste der Woche“), aber mit dem Tiefgang des Spiegel – und zugleich in Focus-Manier „schnell auf den Punkt“. Für Herrn Rasch ist die Quadratur des Kreises gerade gut genug.

„Man kann das Blatt auch tottesten“, stöhnt die Redaktion bei jeder neuen Nullnummer. Kochefredakteur Hartmut Volz sagte sich das schon im April, als wieder einmal ein angekündigter Erscheinungstermin verstrichen war, und warf das Handtuch.

Seitdem ist die Stimmung im Keller, total frustriert ist nicht zuletzt das runde Dutzend Absolventen der Hamburger Journalistenschule, die schließlich gekommen waren, um endlich ihren Namen gedruckt zu sehen. Michael Gatermann, der verbliebene Chefredakteur, weiß das nur zynisch zu kommentieren: „Die müssen sich schon selber motivieren. Dafür werden sie gut bezahlt.“ Ansonsten verteilte er ein Handbuch mit zehn Essentials für den guten Journalismus.

Manfred Bissinger als neuer Blattmacher?

Nervös wurde auch die Verlagsleitung und suchte hektisch nach einem neuen Chefredakteur, der den Weg aus der Misere der Unentschiedenheit weisen sollte. Ja, wenn man einen richtigen Blattmacher hätte, einen wie Manfred Bissinger. Der wurde auch geködert – mit, wie zu hören ist, einem phantastischen Gehalt und der Aussicht, nebenbei seine an Auflage notleidende Woche mit Hilfe des seinerseits phantastischen Bauer-Vertriebes weiterzuführen. Aber er sagte schließlich nein.

Was blieb, als weiter zu werkeln? Die jüngste Nullnumer (Titel: „Vorsicht, Vorsorge!“) fand zwar Gnade bei der Verlagsleitung („die beste bisher“), doch die Ergebnisse der Copytests wurden erstmals nicht bekanntgegeben. Angeblich waren jetzt „Zweifel an ihrer Aussagekraft“ aufgetaucht. Da soll man Probeleser am Kiosk in der noblen Hamburger Mönckebergstraße rekrutiert haben, wo Spiegel- und Stern-Redakteure ihre Lektüre kaufen; auch seien Antworten per Telefon statt persönlich abgefragt worden.

Auch in der Redaktion gab es Ärger um nicht korrekte Zitate, und für eine Geschichte über Lehrstellen, in der Hauptschüler pauschal als faul abgestempelt wurden, bezog Ressortleiter Bernd Baumann zwanzig Minuten lang verbale Prügel von den Kollegen.

Seitdem herrscht Funkstille. Der Verleger „macht erst noch seinen Helikopterkurs“. Den Marktforschern vertraut er nicht mehr, dem Chefredakteur schon lange nicht.

„Dieses elende Vakuum“, seufzt ein Redakteur. Er hofft, daß Heinz Bauer endlich die Worte von Jürgen Rasch beherzigt: „Diese andauernde Jammerei geht voll gegen eine positive Grundeinstellung, die man doch haben muß, sonst kannst du den Laden gleich dichtmachen.“ Dichtmachen oder rauskommen? Die Wetten stehen auf Aus statt Raus. Bis zum 18. August wird es wohl klar sein. Sechs Wochen zum Quartalsende beträgt die Kündigungsfrist.