Zittern bis in die Zehen

■ Ole Haber ist Bremens erster Straßenmusikant auf dem australischen Didgeridoo

Wer an ihm vorrübergeht, spürt unweigerlich ein Zittern bis tief ins Zwerchfell – und je nachdem, welche Tonstärke Ole Haber auf seinem Instrument anschlägt, kribbelt es die PassantInnen sogar bis in die Zehenspitzen: Ole ist Bremens erster Straßenmusikant auf dem Didgeridoo, einem armdicken Bambusrohr, das er dem originalen Musikinstrument der australischen Aboriginees selbst nachgebaut hat.

Alles begann vor drei Jahren, an irgendeiner Londoner Straßenecke. Dort begegnete der junge Bremer dem ersten Didgeridoo-Spieler seines Lebens, einem englischen Straßenmusikanten. Der trug den Virus, aber davon wußte Ole nichts. Erst jetzt, im Januar, bei einem Percussion-Konzert der Nordbremer Gruppe Uwe Möring, bemerkte er die späten Folgen des Londonbesuchs: Ein Fieber brach aus – und das einzige Gegenmittel gegen den inneren Brand heißt Didgeridoo.

Das summt und brummt und stöhnt wie fernes Dampferhupen. Aber vor allem verzaubert es. Die Obertöne, die wie eine leise Chorbegleitung immer mitschwingen, dringen dem Publikum bis in die tiefsten Körperritzen – und auch auf den Musiker wirken sie magisch. „Es ist fast wie Trance. Ich spiele innere Bilder“. Da steigen beispielsweise Säulen vor seinen Augen auf wie die Luft in seinem Instrument. Andere Phantasien kommen dazu. Welche? Bei dieser Frage wird der junge Musiker ein bißchen verlegen. Nur seine Musik gehört auf die Straße – nicht die persönlichsten Gefühle. Verraten wird nur soviel: „Mit dem Instrument gehe ich auf eine Reise zu mir selbst“.

Deren Route wiederum ist öffentlich: Atmung ist ein Meilenstein auf dieser Reise. „Normal ist es ja so, daß du auf die Welt kommst, einen Klaps auf den Po kriegst, losschreist, und nie wieder über deinen Atem nachdenkst“, sagt Ole, „aber so kommt man mit dem Didgeridoo nicht weiter.“ Der vielstimmige, weiche Klang seines Instruments stammt nämlich nur zu einem Teil aus dem Blasrohr. Zu einem anderen Teil macht Ole den Ton selbst. Wie ein Dudelsack bläst er nie alle Luft aus – und zieht schon wieder frische nach, während die letzten Stöße noch ausklingen. So klingt und schwingt die Musik ohne Unterbrechung.

Was in der Musikwelt „zirkuläres Atmen“ heißt, nennt Ole den „ewigen Atem“, und wenn das ein wenig mystisch klingt, macht ihm das nichts. Denn so wirkt sein Instrument mittlerweile tatsächlich auf ihn: Wo er am Anfang vor allem „ganz heiß aufs Spielen“ war, hat sich in dem jungen Musiker nun eine Entdeckungslust breitgemacht, wie er sie noch nicht kannte. Ihn verwundert das nicht. Es muß schließlich was dran sein, wenn manche mit den Tönen des Didgeridoo heilen, wie andere mit der Nadelbehandlung der Akupunktur. Auch in der Atemtherapie bewähre sich das Instrument, weiß Ole. „Aber an sowas traue ich mich noch lange nicht“.

Der junge Bremer hat gerade die erste Etappe auf seiner Reise hinter sich – und die war sehr handwerklich: Stunden und Tage raspelte und feilte er unter der Anleitung des Bremer Flötenbauers Michael Marahrens das Bambusrohr innen aus, bis überhaupt der erste Ton kam. Berge von Schmirgelpapier kostete es, bis die Außenhaut ihren seidigen Glanz bekam. Kaum daß das Instrument gestimmt war, nahm er schon das zweite Didgeridoo in die Mache. Für 50 Mark erstand er das Bambusrohr im Dekogeschäft. „Ein echtes Didgeridoo aus Eukalyptusholz ist mir zu teuer.“

So gerne der Bremer Didgeridoo-Spieler für eine „Session“ mit einem Aboriginee nach Australien fahren würde, „lapidar gesagt“, – so fern liegt die Verwirklichung des Traums. „Erstmal muß ich die Miete zahlen“ – und dann das Fachabitur nachmachen. Das ist die Voraussetzung für eine Lehrstelle als Instrumentenbauer. „Ich war immer ein besserer Träumer als ein guter Schüler“, lacht Ole und ist zufrieden. Denn diese Eigenschaft paßt zu seinem neuen Instrument: „In der Legende der Aboriginees gab es zuerst den Traum“, erzählt er. „Danach zogen die Menschen los und bespielten mit ihren Instrumenten die Dinge und gaben ihnen Namen.“ Eva Rhode