Overthrill in der U-Bahn

■ Seit gestern schickt die BVG ihre Kontrolleure in Zivilkleidung auf Schwarzfahrerjagd / Mit "Task Force" gegen zweiprozentige Schummlerquote

War Schwarzfahren bisher ein Nervenkitzel für Großstadt-Möchtegern-Abenteurer, so ist das Benutzen der öffentlichen Verkehrsmittel ohne Fahrschein jetzt der absolute Overthrill. Die BVG – Ihr Spezialist für adrenalinhaltige Spannung, Waggon für Waggon.

Seit gestern schickt die BVG Kontrollettis mit ganz neuen Uniformen auf die Schwarzfahrerpirsch. Die Damen und Herren Kontrolleure sind gekleidet wie du und ich. Aus und vorbei die Zeiten, in denen man das Gefühl des unerlaubten Befördertwerdens nach einem kurzen Suchblick nach Uniformen genießen konnte.

Jetzt heißt es Vorhang auf für das neue BVG-Spiel: Ich sehe was, was du nicht siehst: Ich sehe einen Mann mit schmieriger Cordhose und Plastiktüte. Wird er...? Oder die Frau mit den zwei quengelnden Kindern: wird sie sich das Kopftuch runterreißen und ihren Ausweis hervorzaubern?

Der BVG-Vorstandsvorsitzende Rüdiger vorm Walde kündigte gestern „schwere Zeiten“ für Schwarzfahrer an. Mit dem „neuen, effektiven Kontrollsystem“ rund um die Uhr will die BVG einem „bundesweit zu beobachtenden Trend“ Einhalt gebieten. „Es gibt immer Mitarbeiter, ähm, Fahrgäste“, verhaspelte sich vorm Walde, „die nicht zahlen.“

Pro Jahr befördert die BVG etwa eine Milliarde Fahrgäste. Seit Herbst vergangenen Jahres sei in Berlin ein „kontinuierlicher Anstieg der Schwarzfahrerzahlen“ festgestellt worden, sagte vorm Walde. Neben dem „offenbaren Nervenreiz“ lägen die Ursachen in den sinkenden Realeinkommen und erhöhten Abgaben. Ergo: Immer mehr Leute fahren schwarz. Pro Monat ertappte die BVG bisher etwa 20.000 illegale Fahrgäste, zwanzig Prozent davon „Graufahrer“, so Andres Mamis von der Tarifabteilung. Das sind diejenigen, die ihre Monatskarte im Jacket zu Hause gelassen haben. Jährlicher Schaden insgesamt: 10 bis 15 Millionen Mark – eigentlich Peanuts im Vergleich zu den 933,5 Millionen Mark Einnahmen im letzten Jahr.

Die doppelte Schadenssumme dagegen läßt sich die BVG ihr neues Kontrollsystem jährlich kosten, das laut vorm Walde „im Verhältnis“ zu der zweiprozentigen Schwarzfahrerquote steht. Von den etwa 700 Fahrgastbetreuern würden „je nach Bedarf“ Kontrolleure eingesetzt. Diese würden dann „dezentral“ gesteuert. Die bisherige „Präsenz im Gesamtnetz“ ist out. Angesagt und total hip ist nunmehr „Task Force“, das heißt „gezielte Kontrollen in einzelnen Bereichen“.

Die Schaffner im Kontrolldienst, die sogenannten SiKs, seit 1993 unterstützt von den blaugrau uniformierten Mitarbeitern des Industrie- und Handelsschutzes (IHS), werden vorwiegend in Bussen und Straßenbahnen ihr ziviles Unwesen treiben. Die sofort zu identifizierenden IHS-Mitarbeiter werden verstärkt unter der Erde ihren Ruf nach Fahrscheinen ertönen lassen. Besonders interessant seien für die Kontrolleure Strecken im Südosten der Stadt wie die U7, so Andres Mamis, und „gerade in den Abendstunden der Kreuzberger Bereich“. Auch bei Großveranstaltungen muß mit verstärkten Kontrollen gerechnet werden.

Damit jeder weiß, wo die Lucie abgeht, plant die BVG, ähnlich den Radarhinweisen die Kontrollen in den Medien anzukündigen. Zum Schluß noch ein Tip für das „Wie erkenne ich einen Kontrolleur?“-Spiel: Die in Zweier- oder Dreiergruppen patrouillierenden Zivis sind mit Handys ausgestattet. Alles klar? Barbara Bollwahn