Staatsgeheimnis mit Gruselambiente

■ Die Atomfestung der Ost-Krieger steht zur Besichtigung: Vom Harnekoper Bunker bei Berlin aus hätte die NVA den Dritten Weltkrieg befehligt. Heute kann man 25 Meter unter der Erde Partys feiern, ein Freiz

Holzvertäfelte Wände, türkis- blau kariertes Sofa, rostroter Teppich: der zehn Quadratmeter große Raum sieht aus wie viele andere Wohnzimmer zwischen Rostock und Erfurt, Magdeburg und Frankfurt (Oder). Bieder und gemütlich, Marke VEB. Doch nur auf den ersten Blick. Denn die Kammer ist 12 Meter tief unter der Erde, begraben unter einer 8,5 Meter dicken Betonschicht, verschlossen durch tonnenschwere Stahltüren – nur durch ein Labyrinth von Gängen zu erreichen: Sie liegt im Atombunker in Harnekop, 45 Kilometer nordöstlich von Berlin. Im Krieg hätte der frühere DDR-Verteidigungsminister Heinz Kessler hier ein kurzes Nickerchen machen oder einfach nur die Füße hochlegen können, nachdem er eine Marschroute für seine Truppen ausgeklügelt gehabt hätte.

Der Betonklotz von Harnekop sollte die Schaltzentrale der Nationalen Volksarmee beherbergen – nach einem Atomschlag: Von der unterirdischen Festung aus hätten 500 Offiziere, Nachrichtentechniker, Funker die letzten versprengten NVA-Einheiten befehligt. Der Atombunker, ein Relikt des Kalten Krieges: Im vergangenen Jahr musterte ihn die Bundeswehr aus. Jetzt ist er wieder in Betrieb. Berliner Investoren haben ihn gepachtet und organisieren Führungen durch die Anlage.

In der DDR war der Bunker oberstes Staatsgeheimnis. Nur ein holpriger Feldweg verband ihn mit der 200-Seelen-Gemeinde Harnekop, ein 15.000-Volt-Elektrozaun sicherte das Gelände. Mit der Drohung „Bautzen – ohne Prozeß“ brachte man das Militärpersonal zum Schweigen. „Nicht mal meiner Frau habe ich etwas erzählt“, sagt Dietrich Jahn rückblickend. Der 50jährige wuchtige Nachrichtentechniker arbeitete zwischen 1976 und 1979 im Bunker. In diesem Sommer leitet er die Führungen durch die Katakomben.

Immer tiefer klettern die neun Besucher die steilen Treppen hinab, schieben sich die engen Gänge entlang, einer hinter dem anderen. Sie schlüpfen durch die vielen Schleusentüren hindurch – vorbei an den Duschen, in denen sich die Soldaten im Krieg die Radioaktivität abschrubben sollten, vorbei an der Isolierstation mit ihren dreistöckigen Kojen, auf denen die Verwundeten auf den Abtransport ins Lazarett warten sollten. Der Boden vibriert bei jedem Schritt. Er wird von eisernen Federn getragen, um im Kriegsfall Erschütterungen abfangen zu können. Belüftungsrohre winden sich an der Decke. Die weißen Pfeile auf dem Fußboden markieren den Weg zur Kommandozentrale.

Eine Wandkarte mit Nato-Stellungen, fünf Fernseher mit Westprogrammen, ein langgezogener Tisch in der Mitte – im Konferenzraum sollte die Offiziersriege die militärische Taktik aushecken. Vier Wochen lang hätte die NVA- Führung in ihrem 2.500 Quadratmeter großen Verschlag ausharren können – 25 Meter tief unter der Erde verschanzt, auf drei Geschosse verteilt und mit 12.000 Essensrationen versorgt. Erst dann hätte sie der Hunger zurück an die verseuchte Oberfläche getrieben.

Die trügerische Sicherheit des Bunkers kommentiert auch Dietrich Jahn mit einem Anflug von Spott. „Warum sich erst im Bunker verschanzen, wenn man draußen in den nächsten 1.000 Jahren nicht mehr überleben kann?“ fragt er heute kopfschüttelnd. Doch auf die raffinierten technischen Apparate, von denen es im Flaggschiff kommunistischer Ingenieurskunst nur so wimmelt, ist der NVA-Veteran mächtig stolz. Der Betonmantel halte der 15fachen Erdbeschleunigung stand, erklärt er. „Testtrupps der Nato schafften es nicht einmal, ein kleines Loch hineinzusprengen.“

Das Verschlüsselungssystem, mit dem geheime militärische Botschaften zu undeutlichem Gemurmel verfremdet wurden, sei „noch nie vom Westen geknackt worden“. Und selbst für die klobige Großrechneranlage in den blauen, schweren Eisenschränken, die aussieht wie aus einem überalterten Science-fiction-Film, findet er entschuldigende Worte: „900 Kilobyte Speicher, das war Anfang der Siebziger, als der Bunker gebaut wurde, Topqualität.“

Besonders ärgert sich Jahn darüber, wie geringschätzig die Bundeswehr die NVA-Technik behandelt. Die beiden Notsender ließen sie im Depot verrotten. „Dabei sind sie so stark wie die Sendeanlage von so manchem Privatradio.“ Motoren und Pumpen verscherbelten sie zu Spottpreisen. „Alles, was nicht niet- und nagelfest war, haben die von der Bundeswehr mitgehen lassen“, beschwert sich auch Fritz Hecht, der die militärische Anlage gepachtet hat. Hecht hat hochfliegende Pläne mit dem Bunker: Sobald die Restitutionsansprüche geklärt sind, wollen er und seine Partner von der Firma FAGG die Liegenschaften kaufen. „Die Bunkerführungen an den Wochenenden rechnen sich noch nicht“, sagt der 52jährige Bankkaufmann. Ihm schwebt eine Vermarktung im großen Stil vor. Mit einem Investor für einen Freizeitpark steht er schon in Verhandlungen. Den Bunker selbst will er mit einem Restaurant und einem Hotel beleben, „schließlich ist unten eine Küche drin und 116 Betten“, sagt er. Hecht will ein ganzes Erlebnisurlaubspaket anbieten, Besichtigungstouren zu den umliegenden Bunkern eingeschlossen: wie nach Wünsdorf zum Beispiel – dem Bunker, der von den Nazis und später der Roten Armee genutzt wurde. „Manche Leute interessieren sich für Kathedralen, andere mehr für das Profane“, sagt er lapidar.

Seinen ersten Kunden hat Hecht schon gefunden: Im Oktober spendiert ein Berliner Millionär seiner Enkelin ihre Hochzeitsparty im Gruselambiente. Hundert Gäste sind eingeladen. In der Hochzeitsnacht müssen sich Braut und Bräutigam auf einer fünfzig Zentimeter schmalen Etagenpritsche drängeln. Damit die Endzeitstimmung durch Mark und Bein geht, hat sich Hecht noch etwas ganz Besonderes einfallen lassen: Das Liebesnest wird zur Feier des Tages mit Granatdonner aus dem Lautsprecher beschallt. Barbara Nolte