Kultur-TV halbnackt

■ Eine ganze Million guckt zu bei "Mallorca live", am Teutonenstrand von Arenal - täglich um 14.03 Uhr in der ARD

Was macht eigentlich Theo Sommer, wenn er nicht gerade die Zeit herausgibt oder sie mit sinnstiftenden Artikeln zur Lage der Nation beschwert? Urlaub macht er. Derzeit jedenfalls. Und das nicht etwa trekkingmäßig im Himalaya oder Chianti schlürfend in der Toscana. Nein, Theo Sommer ist Mallorca-Fan. Wußten wir nicht. Aber letzten Dienstag hat er sich geoutet, mitten im Getümmel am Strand von Arenal. Da, wo Kneipen wie „Bei Gaby & Jupp“ trotz 40 Grad im Schatten mit Grünkohl und Mettenden locken und das Spanische ungefähr so gebräuchlich ist wie auf dem Marktplatz von Vilshofen.

Theo Sommer war Promigast bei „Mallorca live“ im Strandstudio des WDR und sprach aus dem Stegreif Gewichtiges: „Mallorca ist gar nicht so, wie alle immer sagen, daß es sei.“ Aha. Als er auf das Talk-Sofa gebeten wurde, hielt sich der Beifall der Umstehenden zwar in Grenzen („Theo wer?“), aber geknipst wurde er trotzdem fleißig. Man kann ja nie wissen. Überhaupt gab sich das interessierte Publikum zwar spärlich bekleidet, aber ansonsten äußerst sittsam.

Nichts von grölenden Horden und Alkoholexzessen zur Mittagsstunde. Artig bedankte man sich für Sticker und T-Shirts, winkte mal kurz den Lieben daheim und starrte bei Einspielfilmen gebannt Richtung Monitore, auf denen in der gleißenden Sonne freilich kaum was zu sehen war. Und wer immer da mal versehentlich mit einem Fuß auf die schlicht markierte Studioumgrenzung geriet, zog ihn so entsetzt wieder zurück, als sei das Ganze durch Selbstschußanlagen gesichert.

Und wenn doch mal einer sich erdreistete, was von „Die machen hier von unseren Gebühren Urlaub“ zu nölen, wurde ihm umgehend aus der Menge Bescheid gestoßen. „Urlaub? Nee, nee. Kuck doch ma', wat die am Schwitzen sind. Det is' Knochenarbeit.“ Womit freilich eher die Techniker und Kameraleute als die Moderatoren Björn-Hergen Schimpf und Jörg Hafkemeyer gemeint waren. Doch auch die zeigten sich nach der Sendung mit ihrem Werk zufrieden. Keine groben Schnitzer mehr wie noch bei der Premiere am Vortag, und daß seine Reporterkollegin nicht Maria, sondern Marion Försching heißt, hatte man Schimpf inzwischen auch beigebracht.

Am nächsten Morgen herrschte in den improvisierten Redaktionsräumen über einem Strandrestaurant bereits wieder emsiges Treiben im 34köpfigen Team. Studiogäste für die heutige Sendung bestätigen lassen (Lebt Bernd „die Mundharmonika“ Clüver noch? Kommt er auch wirklich?), örtliche Zeitungen studieren, Berichte koordinieren und ein Team in die Kleinstadt Petra im Landesinneren schicken, wo die Bewohner eine geplante Müllverbrennungsanlage partout nicht vor ihrer Haustür haben wollen.

Dann der Jubelschrei, die Quote aus der Heimat: über eine Million Zuschauer am Dienstag! Schimpf kommt mit seiner Call-in- Sendung im Ersten sonst nur auf 300.000. Und Projektleiter Michael Radix schwebte vorübergehend auf Wolke sieben: „Unser Konzept, mitten ins Urlaubsgetümmel von Arenal zu gehen und von hier aus über Land und Leute und das andere, ruhige Mallorca zu berichten, geht auf.“ Kann sein. Kann aber auch sein, daß sich die Leute daheim morgen für die Müllprobleme auf der Insel so wenig interessieren werden wie für die jüngste Korruptionsaffäre in der mallorquinischen Regierung und sie das Ganze nicht wegen, sondern trotz der informativen Einspielfilmchen gucken. Bei jährlich zwei Millionen deutschen Mallorca-Urlaubern, mal hochgerechnet auf die letzten 30 Jahre, ist die Gruppe derer, die gern Bilder von da sehen, wo sie auch schon mal waren, schließlich riesig.

Zumal es bei Hans Meisers alljährlichen Stippvisiten auf der Insel von dieser nix zu sehen gibt. Ob das Interesse über die nächsten Wochen anhält, bleibt abzuwarten. Als Probelauf für ein weltweites Urlaubsfernsehen, wie es dem WDR-Chefredakteur Nikolaus Brender für 96 vorschwebt, dürfte das Projekt so oder so nicht taugen. So was geht wahrscheinlich nur von Mallorca.

Natürlich kann man, wie Michael Radix, das Konzept von „Mallorca live“ als „gute Mischung“ verkaufen. Andererseits hat der Versuch, neben Gewinnspielen und Small talk, inmitten gut geölter Halbnackter, ein Stück Kulturfernsehen zu inszenieren, auch was von öffentlich-rechtlicher Groteske. Verklemmung inklusive. Gleichsam als Inkarnation dieses Eiertanzes wuselt da Björn- Hergen Schimpf durch das Geschehen, der bislang noch in jeder Ausgabe mindestens eine halbseidene Zote gedrechselt hat.

Und wenn der dann noch auf eine Victoria Brahms (Ex-Gärtnerin aus dem „Marienhof“) trifft, die was von „Ich bin Jungfrau – vom Sternzeichen, meine ich“ (glucks, glucks) flötet, dann ist das richtig Urlaubsfernsehen. Müll hin oder her. Reinhard Lüke