Eine Frau wird von Baggern bedrängt

Kunst im Erdreich: Die 3. Europa-Biennale Niederlausitz im Tagebau Greifenhain bei Pritzen/Altdöbern  ■ Von Helmut Höge

Der Lausitzer Braunkohletagebau ist gigantische Landschaftsgestaltung in situ – auch ohne die Land-art, die derzeit dort veranstaltet wird. Die Bärenbrücker Höhe zum Beispiel entstand infolge „der Verkippung von Aufschlußmassen der Tagebaue Jänschwalde und Cottbus-Ost“, andere markante Kunstpunkte heißen „Consulhöhe“ oder „Feldherrhügel“. Bei Senftenberg hat der Abbau des mächtigen Flöz- Horizonts einen See zur Folge gehabt: 1940 wurde dort der erste Entwässerungsschacht abgeteuft, 1967 war Flutungsbeginn, der Zeltplatz am See eröffnete 1974.

Nach der Wende wurden in der Lausitz von 27 Abbaugebieten 18 stillgelegt. Übrig blieben auf einer Art von Mondlandschaft umgebenen Halbinsel schnell verfallende Verwaltungs- und Reparaturgebäude und riesige Eisenkonstruktionen. Ihre Namen sind Hymnen auf die Ingenieurkunst: Schaufelradbagger SRs1300, Brückenbagger Es3150 und der Eimerkettenbagger E1120.

Insgesamt wurde bislang ein Abraum von über einer Milliarde Kubikmeter Erdreich bewegt und 1,2 Milliarden Kubikmeter Grundwasser abgepumpt, was eine 300 Quadratkilometer große Fläche „Öd- und Kippenland“ hinterließ. Damit sich etwa dort, wo einmal die Orte Groß- und Klein-Jauer waren, ein Badesee bildet, braucht es zirka fünfzehn Jahre. Ebensolange benötigt wahrscheinlich die Umprofilierung der Wirtschaftslandschaft, um erneut für Großinvestoren und Kapital attraktiv zu sein. Für Pritzen („Ein Ort mit Zukunft“) ist zum Beispiel die Ansiedlung von „Bootsbau, Fischzucht und Dienstleistung“ angedacht. In der Zwischenzeit kümmern sich „die Verantwortlichen“ um Aufträge und Angebote für die Arbeitslosen – um Action also – und Kultur. Sie nennen sich „Veranstalter“, es sind der „Förderverein Kulturlandschaft Niederlausitz“, die LBV und die Laubag, aber auch die Berliner HdK und die Cottbuser TU.

Auch die Landesregierung „unterstützt“, und deswegen hielt Ministerpräsident Stolpe bei der öffentlichen Präsentation „Kunstaktion am Tagebau“ eine Rede. Der einstige Kirchenmann Stolpe bemüht wie immer die Transsubstantiation – von „Orten des Schreckens“ in solche „der Hoffnung“: „Wenn man sich das Ende der Welt vorstellen sollte, so wie hier sähe es aus“, sagt er. „Aber es ist mit dieser Kunstaktion gelungen, eine europäische Solidaritätsaktion in Gang zu setzen.“

Schaun wir mal! Die Laubag hat dazu vier Mitarbeiter-Transport- Lastwagen zur Verfügung gestellt. Die 22 Land-art-Objekte von 30 Künstlern aus 10 Ländern sind über die mehrere Quadratkilometer große Halbinsel Pritzen verteilt. Die symphonische Inszenierung „Direktsturzkombination“ von Marlen Liebau (Berlin) und Stefan Schiske (Wien) findet gar am anderen Ende der Grube bei Altdöbern statt, wo ein Bagger- „Geräteverband“ noch mit „Böschungs- und Restlochgestaltungs- Maßnahmen“ beschäftigt ist, der dann auch „mitspielt“, nebst etlichem „Kleingerät“, sowie einer Schafherde und einer Harfinistin auf einer Sandpyramide.

In Pritzen müssen drei Imbißwagen auf dem Dorfplatz die noch fehlende Kneipe ersetzen, die LBV hat bisher nur die alte Schule rekonstruiert, ein neues Buswartehäuschen vor dem alten errichtet, sowie den hölzernen Glockenturm aus dem überbaggerten Ort Wolkenberg auf den Platz der alten Kirche gestellt. Diese war zuvor – „in der Phase der Umsiedlung“ – abgetragen und in Spremberg wieder aufgebaut worden. Es herrscht im Lausitzer Kohlerevier ein ständiges Kirchen-Kommen und -Gehen. Die Bewohner sind jedoch eher ungläubig – auch der Kunst gegenüber: Das viele Geld dafür, finden sie, hätte man sinnvoller ausgeben können. Beispielsweise dafür, daß die Laubag ihnen nicht für den Rückkauf ihrer Häuser dreimal soviel abnimmt, wie sie beim Ankauf seinerzeit gezahlt hatte. Von der Sogwirkung all der auf den beiden vorherigen Biennalen aufgestellten Land-art-Objekte haben sie auch noch nichts gespürt. Einmal war ein Amerikaner da, der aus dem Tagebaugebiet Greifenhain eine „Art-City mit schwimmenden Inseln“ machen wollte.

Der nun schon zum dritten Mal beteiligte Organisator der szenischen Symphonie, Stefan Graffunder, erinnert sich: „Mir hat mal ein Baggerfahrer gesagt: ,Wir brechen zusammen, und ihr tanzt auf unserer Leiche.‘“ Viele ehemalige Laubag-Mitarbeiter sind bei der „Kunst-Aktion“ als Statisten und Hilfskräfte angestellt. Der bulgarische Künstler Mincho Minev ließ sich eine mit drei Holzskulpturen und einer Europafahne bestückte sowie mit Ginster zu bepflanzende Erd-Harkarbeit namens „Sonne“ einfallen, in der Lausitzer Rundschau beklagte er sich über seine allzu wenig motivierten Helfer: „Sie denken wegen der bevorstehenden Entlassungen nicht weit, sehen nicht die Zukunft. Ihnen fällt es schwer, den Sinn ihrer Arbeit hier zu begreifen.“ Ähnlich geht es den jugendlichen Statisten aus Altdöbern, die auf ihren kurzen Auftritt als Handhark-Brigade in der Symphonie warten, während ihre Freundinnen auf der Freilichtbühne unten an der Abraumkante bereits eine sorbische Ernteprozession, mit Utensilien aus buntem Papier und Stoff, im Scheinwerferlicht proben. Die Land-art-Künstlerin Marlen Liebau hat dazu auch noch einen Traktor auffahren lassen, der eine von ihr geschweißte Frauenfigur zieht, die später in Flammen aufgeht: „Bilder einer zerstörten Landschaft“.

Schon die Bergarbeiter gaben ihren in die Erde getriebenen Schächten Frauennamen. Diese ökologisch-matriarchalische Dumpf-Metaphorik findet sich in nahezu allen Kunstobjekten wieder: Kreise aus Steinen, Bäumen, Wällen; gezirkelte Stelen aus Schrott und Beton, Holzkonstruktionen, die „Arche“ oder „Zwischen Himmel und Erde“ heißen; Treppen und Rampen aus Sand, Balken oder Flechtwerk. Man kennt solche oder ähnliche Objekte von der Biennale in Tel Hai (Israel) und Skulpturausstellungen in Münster und Berlin. Im Tagebau Greifenhain, inmitten endloser Abraumhalden, wirken die Kunstobjekte jedoch allzu hilflos und berechenbar – wie mit der Wurst zur Speckseite geworfen. Sie wirken nur im Ausstellungskatalog, verfehlen die wirklichen – menschlichen – Probleme der Region aber völlig. Dieser Eindruck wird nur dort ein wenig korrigiert, wo die Künstler die Technik in Bewegung und Geräuschen, in Aktion, miteinbezogen haben. Das ist bei der Symphonie „Direktsturzkombination“ zum Teil der Fall, wo Raupen und Bagger in Staubwolken gegeneinander „kämpfen“ und der äußerst bewegliche Komatsu-Bagger eine langsam schreitende Ariensängerin bedrängt: „Es geht dabei um die Menschlichkeit in den Maschinen“, erklärt Graffunder, „so etwas mögen die Leute hier, das hat was mit ihnen zu tun.“