Großstadtoasen zugepflastert

Rollheimer laden PolitikerInnen zu „Rundem Tisch“ ein / Wagenburgen werden aus dem Innenstadtbereich verdrängt / Politik der Ghettoisierung  ■ Von Silke Fokken

Die Rastalockenfraktion und Zirkuswagenlobby geht, die Aktenkofferkolonne und Investorengang kommt. Für die neun Rollheimerdörfer mit insgesamt 700 BewohnerInnen im Berliner Innenstadtbereich ist in der neuen Hauptstadt kein Platz mehr. „Mittelfristig sind wir alle von der Räumung bedroht“, klagten die VertreterInnen der Wagenburgen gestern bei einer Pressekonferenz vor dem Roten Rathaus. Sie haben etwa 50 PolitikerInnen der Bezirksämter und Senatsverwaltungen am 14. August zu einem „Runden Tisch“ eingeladen, um zu planen, wie es weitergeht.

„Über uns schwebt ständig das Damoklesschwert“, sagt Susanne von der Wagenburg am Schwarzen Kanal an der Schillingbrücke in Kreuzberg. Mit dem „Runden Tisch“ solle verhindert werden, daß weiterhin über die Köpfe der Betroffenen hinweg entschieden werde. „Die PolitikerInnen praktizieren eine Ghettoisierung von Gruppen, die nicht in das Hauptstadtkonzept passen. Der Innenstadtbereich wird mit Bürogebäuden zugepflastert und durch Investoren aufgewertet“, kritisiert Susanne.

Laut einem Koalitionsbeschluß von CDU und SPD vor fünf Jahren sollen die Rollheimer aus der City verschwinden. Seitdem wurden zwei offizielle Plätze am Stadtrand in der Wuhlheide und in Karow- Nord eingerichtet. „Vielleicht läßt sich jetzt kurz vor Ende der Legislaturperiode noch etwas retten“, hofft Rollheimer Zosch. Die Wagenburg-VertreterInnen fordern „kleine, überschaubare Plätze in der Innenstadt“.

Seit teilweise mehr als 14 Jahren leben die Rollheimer mitsamt ihren Sonnenkollektoren, Kanonenöfen, Kaninchenställen und Primeln vor den beräderten Häusern in ehemaligen Mauernischen. „Aus Müllkippen haben wir Großstadtoasen gemacht“, sagt Martina von der Wagenburg am Kinderbauernhof in Friedrichshain. Seit der Wende müssen die Rollheimer um ihre Idylle inmitten der Berliner Betonwüste kämpfen. Das erste „Maueropfer“ war 1990, aufgrund einer politischen Intervention, die Wagenburg an der Wilhelmstraße. Die BewohnerInnen siedelten an die Eastside Gallery um und sind heute wieder von einer Räumung bedroht.

Drei Jahre später mußten die Rollheimer an der Waldemarstraße nicht einmal selbst den Trecker anwerfen. 900 Polizisten verfrachteten ihr Zuhause im Bauwagen ohne vorherige Absprache kurzerhand nach Karow. 1996 sollen auf diesem Gelände Sozialwohnungen gebaut werden.

Die Wagenburg in der Adalbertstraße gestaltet seit 14 Jahren einen Kinderbauernhof. „Wir haben einen Anlaufpunkt für Kinder geschaffen, die hier Bezugspersonen finden, Natur erleben und der Großstadtanonymität entfliehen können“, sagt Martina. Möglicherweise sei es für die Stadtpolitiker bedrohlich, wenn BürgerInnen ihr Schicksal selbst in die Hand nähmen und sich wie die Rollheimer etwa gegen hohe Mieten wehrten und alternative Lebensformen praktizierten. Die Wagenburg soll einem Parkplatz weichen.

Bei den Rollheimern am Lohmühlenufer ist am Wochenende Life-Musik in Multikultistimmung angesagt. „Wir sind das Tempodrom von Treptow“, sagt Zosch. Ihr Grundstück soll zu einem Park werden, obwohl es rechts und links davon schon einen gibt. Besonders akut ist die Situation am Potsdamer Platz. Zum 15. August steht den Rollheimern die Räumung ins Haus, weil der Elektromulti ABB dann seine Krähne startet.

„Wir Rollheimer sind eine Bereicherung für die Berliner City“, meint Susanne selbstbewußt. Das Spektrum der WagendörflerInnen reicht vom gutsituierten Architekten mit Vorliebe für Heimwerkelei bis zu autonomen Lebenskünstlern mit Batik-T-Shirt.

„Die Metropole wird dadurch leben, daß viele verschiedene Menschen in der City sind“, widerspricht die Stadtsoziologin Karin Baumert einem Hauptstadtkonzept, das auf Investoren setzt. Sie wird den „Runden Tisch“ moderieren. Bislang hat allerdings noch keiner der geladenen Polit-Gäste, unter ihnen auch Eberhard Diepgen, zugesagt.