Unter guten Freunden hilft man sich

Die versteckten Erpressungsmethoden der Russen-Mafia sind juristisch schwer zu fassen. Zudem mangelt es an Zeugen. Polizei und Staatsanwälte sind trotz intensiver Bemühungen oft nicht in der Lage, die Täter vor Gericht zu bringen  ■ Von Michael Schmuck

Prozesse gegen die Russen-Mafia endeten für die Berliner Justiz meist mit einer Schlappe: Im sogenannten Ikonen-Mordprozeß Anfang des Jahres zum Beispiel wurde der Angeklagte aus Mangel an Beweisen freigesprochen, und auch der Ukrainer, der 1991 in einem Berliner Restaurant mit einem Gewehr drei Russen erschoß, konnte nicht verurteilt werden. Zur Zeit läuft der Prozeß gegen den Russen Viktor I., einen mutmaßlichen Auftragskiller, der einen Landsmann im Hotel Esplanade erschossen haben soll. Auch dieser Prozeß droht wegen bröckelnder Beweise ein Reinfall zu werden.

Nicht alle Ermittlungsverfahren gegen Angehörige der Russen- Mafia oder ähnlicher Kreise, zum Beispiel aus Ex-Jugoslawien oder der Türkei, kommen aber überhaupt bis zum Gericht; denn die Ermittlungsbehörden bringen schon die Beweise nicht zusammen, die für die Erhebung der Anklage notwendig sind.

Bei den meisten dieser Verfahren geht es nicht oder nicht allein um Mord, sondern um den Hintergrund, der zum Mord geführt hat: die Schutzgelderpressung. (Wobei oft erst der Mord auf die vorangegangene Erpressung hinweist.)

Die Fälle sind meist nahezu identisch, nur die Namen der Beteiligten ändern sich. Ein typisches Beispiel aus dem vergangenen Jahr: Zwei junge Russen kommen nach Berlin, sprechen in einem Café am Ku'damm, das als Russentreff bekannt ist, Landsleute an, die schon länger hier leben, und erfahren, daß sie ein Import-Export- Geschäft betreiben. Sie besuchen die Firma und sagen, sie bräuchten als Neulinge in Berlin Unterstützung, sie seien doch auch Russen und unter Freunden helfe man sich doch. Sie würden auch helfen, wenn jemand der Firma Schwierigkeiten mache. Künftig gehen sie in der Firma ein und aus, telefonieren von dort nach Moskau, so oft und viel sie wollen, fahren auf Geschäftskosten einen 500er Mercedes und möchten für ihre Unterstützung am Gewinn beteiligt werden, und das alles mit der Zustimmung der Firmeninhaber. Einer Zustimmung, die aus der nackten Angst geboren ist. Zwar bedrohen die Männer sie nicht konkret, sie verlieren kein böses Wort, aber sie erzählen ganz allgemein, daß sie Verrätern die Leber rausreißen, unliebsame Mitmenschen die Treppe hinunter begleiten oder ihnen „Russisch beibringen“. Die Männer sind ehemalige Profiringer und dementsprechend kräftig gebaut; ihr Auftreten allein ist schon bedrohlich. Einmal erzählen sie wieder ganz allgemein, sie hätten Lust, mal irgendwen zum Krüppel zu schlagen. Dann bitten sie darum, man möge ihnen doch einen Spaten besorgen. Das klingt besonders harmlos, wenn man nicht weiß, daß in solchen Kreisen Quertreiber gern bei lebendigem Leib vergraben werden. Als einer der Firmeninhaber sich gegen sie auflehnt, liegt er ein paar Tage später mit Kopfschuß und erdrosselt im Tegeler Forst. Das schüchtert die anderen noch mehr ein. Die Kripo kommt den beiden Ringern zwar auf die Spur, kann ihnen den Mord aber auch mit größtem Ermittlungsaufwand nicht nachweisen: keine Tatzeugen, keine brauchbaren Spuren. Und auch hier hat erst der Mord den Weg zur Schutzgelderpressung gewiesen.

Das skrupellose Nachspiel: Als die Verdächtigen in Untersuchungshaft sitzen, kommt ein unbekannter Russe aus Moskau und verkauft natürlich mit „Zustimmung“ der noch lebenden Inhaber den 500er Mercedes der erpreßten Firma (den die beiden Verdächtigen fuhren) zum fünffachen Marktwert an einen anderen Berliner Russen, der – zufällig – ein potentieller Zeuge für die Schutzgelderpressung ist. Auch er wird nicht konkret bedroht, sondern höflich gebeten, den Preis zu zahlen. Von dem Geld werden die Anwälte der Verdächtigen bezahlt.

Problem Nummer 1: Die Schutzgelderpressung wird in einer Weise ausgeführt, die aus juristischer Sicht schwer als Straftatbestand zu werten ist. Sie reicht nicht immer aus, um Anklage zu erheben. Versteckte Drohungen, allgemeine Andeutungen zwischen den Zeilen sind zuwenig. Der in Frage kommende Straftatbestand der räuberischen Erpressung ist erst dann eindeutig erfüllt, wenn eine konkrete Bedrohung vorliegt und damit eine ganz konkrete Handlung erpreßt wird. Auf deutsch und stark vereinfacht: Um mich zu erpressen, muß mir jemand eine Pistole an die Schläfe halten und 5.000 Mark fordern. Oder anders: Vor zähnefletschenden Kampfhunden darf ich aus juristischer Sicht eben keine Angst haben, solange ich nicht einmal angeknurrt worden bin. Dies sei aber nicht das Hauptproblem bei den Ermittlungen, wie der Berliner Oberstaatsanwalt Fätkinheuer von der Abteilung Organisierte Kriminalität versichert. „Solchen ,atmosphärischen Druck‘ der Erpresser kann man dann meist doch noch irgendwie aus der Gesamtschau als Erpressung werten.“ Jedoch überlagert dieses Problem alle anderen. Denn wenn es keine klaren Beweise, vor allem Zeugenaussagen, gibt, ist diese Gesamtschau schwer.

Problem Nummer 2: Es finden sich so gut wie keine Zeugen, weil sie Angst haben, liquidiert zu werden – trotz aller Angebote, die Zeugen unter Polizeischutz zu stellen. Typische Aussage eines Zeugen bei der Kripo: „Die haben mich schneller, als Sie gucken können.“ Weil darum selten jemand eine Straftat der Russen-Mafia anzeigt, kriegt die Polizei davon nichts mit und es kommt nicht einmal zu Ermittlungen. Auch wenn jemand keine Angst hat, so schweigt er wegen eines merkwürdigen Korpsgeistes, einer unverständlichen Bindung zum Landsmann, die sagt, daß man seine Probleme untereinander löst.

Hier spielt ganz sicher auch die Abneigung gegen Obrigkeit und Behörden eine Rolle. Russen kennen Polizisten aus ihrer Heimat als korrupt und unberechenbar. Daher schenken sie auch hier den Ermittlern kein Vertrauen.

Viele der möglichen Zeugen sind auch selbst irgendwie in dunkle Geschäfte verwickelt und haben Angst aufzufliegen. Mittäter oder Gehilfen aus den Kreisen der Russen-Mafia sagen zudem auch nichts, weil sie dann, soweit sie keine Angst vor Liquidierung haben, die „Fürsorge“ ihrer Gruppe verlieren: Wer schweigt, wird nach seiner Entlassung wieder aufgenommen und versorgt.

Problem Nummer 3: Selbst wenn ein Zeuge alle Hemmschwellen überwindet und aussagt, trägt seine Aussage nicht zwingend zur Verurteilung des Täters bei, weil, siehe Problem Nummer 1, wegen der unterschwelligen Art der Erpressung juristische Hürden bestehen. Ein Teufelskreis: Schon bald ist keiner mehr bereit, das enorme Risiko einer Aussage einzugehen, die möglicherweise zu keinem Ergebnis führt.

Problem Nummer 4: Die Identität der Verdächtigen ist nicht zweifelsfrei zu klären. Oftmals besitzen sie gleich mehrere falsche ausländische Pässe verschiedener Länder auf verschiedene Namen, mindestens aber einen kroatischen, weil man damit erfahrungsgemäß an europäischen Grenzen seltener kontrolliert wird. Daß sie keine Kroaten, sondern Russen sind, erkennt man nur an ihrer Sprache. Natürlich könnten sie aber auch aus irgendeinem anderen Land der ehemaligen Sowjetunion kommen. Sie selbst geben meist an, in Wirklichkeit staatenlos zu sein. Die Fingerabdrücke nützen nur, wenn der Täter schon einmal unter richtigem Namen in Deutschland aufgefallen ist. Und um im Ausland nachzuforschen, muß man wissen, aus welchem Land sie kommen.

Wenn man jemanden nicht identifizieren kann, ist das zwar kein absolutes Hindernis, ihn vor Gericht zu bringen, aber es ist mindestens kein Zeichen erfolgreicher Ermittlungen, wenn jemand unter falschem Namen oder als „Mister X“ angeklagt werden muß.

Da auch das Geburtsdatum nicht immer feststellbar ist, weiß man bei jüngeren Tätern außerdem nicht, ob der Jugendrichter oder das normale Strafgericht zuständig ist. Wenn es überhaupt dazu kommt, müßte im Zweifel beim Jugendgericht angeklagt werden, und das beschert dem Täter einen erheblichen Strafbonus.

Problem Nummer 5: Wegen der Angst oder des Korpsgeistes sind auch keine russischen V-Männer zu finden, und wegen der fremden Sprache können keine verdeckten Ermittler der Polizei eingeschleust werden. Somit können sonst erfolgreiche Ermittlungsmethoden gar nicht angewandt werden. Dies gilt für alle ethnischen Gruppen. Darum ist der Ruf der Polizei nach besseren Möglichkeiten der Telefonüberwachung in diesem Bereich besonders stark.

Problem Nummer 6, ein allgemeines Problem: Bei der Vernehmung von nicht Deutsch sprechenden Beschuldigten und Zeugen blockiert die Sprachbarriere jede Vernehmungstaktik: Der Dolmetscher und die Übersetzungszeit neutralisieren den Versuch, auf die Persönlichkeit des Vernommenen einzugehen und eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen. In der Juniausgabe der Fachzeitschrift Kriminalistik haben die Essener Kommunikationswissenschaftler Ute Donik und Norbert Schröer ausgeführt, daß Ermittlungsverfahren gegen Ausländer auch wegen dieser Sprachbarriere annähernd doppelt so oft im Sande verlaufen wie gegen Deutsche.