Hungern im Park für Sarajevo

Pariser Protest gegen die französische Bosnien-Politik: Im Park von Vincennes hungern die französische Theaterregisseurin Ariane Mnouchkine und vier weitere KünstlerInnen, die Zeitung „Info Matin“ druckt täglich einen Strip des belgischen Zeichners Hermann – „Sarajevo-Tango“  ■ Von Dorothea Hahn

Nach Avignon konnte ich nicht einfach in den Urlaub fahren. Ich mußte mich ernsthaft engagieren“, sagt Ariane Mnouchkine. In Avignon hatte die Regisseurin epischer Theaterwerke ein Dokument mit verfaßt, das einen „radikalen Wandel der Bosnienpolitik“ verlangt und inzwischen von 10.000 Menschen unterzeichnet worden ist. Das war im Juli. Seit dem 4. August befindet sich Mnouchkine zusammen mit vier anderen KünstlerInnen im Hungerstreik.

Die Regisseurin – deren letztes Stück über die Opfer des Aids- Bluter-Skandals jüngst auch auf deutschen Bühnen zu sehen war – hat sich für die Protestaktion in ihrem „ThéÛtre du Soleil“ in der Cartoucherie im Park von Vincennes am Ostrand von Paris eingerichtet. Mit ihr hungern die Choreographin Maguy Marin, die Theaterregisseure François Verret, François Tanguy und Emmanuel de Véricourt und der junge Dramaturg Olivier Py. Sie wollen nicht die Serben beeindrucken, sondern „eine Bewegung auslösen, die die französische Politik verändert“. Deswegen sehen sich die Hungerstreikenden auch weniger in der Pose der Opfer als in derjenigen der politischen Aufklärer. Täglich halten sie Pressekonferenzen unter den alten Bäumen des Parks ab, veröffentlichen Kommuniqués über die Situation in Bosnien und diskutieren mit Passanten, die in diesen Sommertagen zahlreich durch den Park flanieren.

Die Hungerer prangern die „politische, militärische und moralische Ohnmacht der Vereinten Nationen“ an. Sie verlangen den Rücktritt von UN-Generalsekretär Butros Butros Ghali, ein Verfahren des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag gegen die Verantwortlichen der „ethnischen Säuberungen“ von Srebrenica, den Verbleib der Blauhelme in Bosnien und eine „Unterstützung“ des bosnischen Widerstandes. Von der französischen Regierung verlangen sie eine entschiedene Parteinahme für Bosnien. „Wir sind angewidert von dem Faschismus, der sich ungehindert vor unseren Augen entwickeln kann“, sagt Mnouchkine. Die Politiker kümmerten sich um den 50. Jahrestag der Judendeportationen aus Frankreich, beklagt sie. Über Ex- Jugoslawien jedoch „verbreiten sie seit vier Jahren Lügen, indem sie Angreifer und Angegriffene verwechseln“.

Die Aktion der prominenten Hungerer hatte am 20. Juli beim 49. Theaterfestival von Avignon begonnen. Nach einem beträchtlichen Gezerre hinter den Kulissen war dort – in der Tradition der französischen Sarajevo-Solidarität des vergangenen Sommers – die „Deklaration von Avignon“ vor dem alten Papstpalast verlesen worden (vgl. taz vom 26. Juli). Zu Füßen eines gigantischen Fotos von General Mladić, dem Militärchef der bosnischen Serben, und von Flüchtlingen aus Srebrenica, verlangten die Künstler – ohne dies zu präzisieren – „internationalen Druck auf Serbien“.

Zahlreiche Besucher und Teilnehmer des allsommerlichen Festivals unterzeichneten die Deklaration an Ort und Stelle, darunter die SchauspielerInnen Heinz Bennent, Cathérine Deneuve, Bruno Ganz, Chiara und Marcello Mastroianni und Michel Piccoli, die FilmemacherInnen Jean-Luc Godard, Claude Lelouche und Chantal Akerman, die Regisseure Peter Brook, Matthias Langhoff, Patrice Chéreau, Jérôme Deschamps, Giorgio Strehler und Robert Wilson, die Schriftsteller Breyten Breytenbach und Heiner Müller, die Komponisten Maurizio Kagel und Pascal Dusapin und die Modemacherinnen Agnès b. und Sonia Rykiel. Mitunterzeichnerin Jane Birkin fuhr dann mit einer Ladung französischer Romane und Gedichte ins belagerte Sarajevo.

Die fünf Hungerer, die ihre Aktion am selben Tag begannen wie die kroatische Offensive gegen die Krajina hoffen auf weitere Unterstützer. Täglich erhalten sie Dutzende von Briefen und Solidaritätsfaxe. Auch Frankreichs Kulturminister Philippe Douste-Blazy machte einen Besuch in der Cartoucherie. Wie lange ihr Streik dauern soll, wissen die Protagonisten noch nicht. Aber sie sind zuversichtlich, was seine Erfolgsaussichten betrifft. „Wir können die Politik ändern“, ist Choreographin Marin überzeugt, „bloß nicht allein zu fünft.“

Entschieden probosnisch ist auch die Sommeraktion der französischen Tageszeitung Info Matin. Täglich veröffentlicht sie auf ihren beiden zentralen Seiten ein Kapitel des Strips „Sarajevo- Tango“ des belgischen Zeichners Hermann. Die in düsteren Farben gezeichnete Geschichte handelt von einem Ex-Legionär, der ein Mädchen aus Sarajevo gegen ein dickes Paket Geld in die Schweiz zu dessen Mutter bringen soll. Ein bezahlter Killer im Auftrag des zweiten Ehemannes der Dame soll die Rettungsaktion vereiteln. Das persönliche Drama spielt vor dem Hintergrund des Krieges in der bosnischen Hauptstadt: Heckenschützen, brennende Häuser und – das Ganze spielt im Winter – Eiseskälte. „Die Realität hat die Fiktion überholt. Sarajevo ist heute und jetzt“, steht täglich neu in dem Vorspann zu „Sarajevo-Tango“.

Am Erscheinungstag 31. Juli setzen Bombardements ein Wohnhaus in Flammen, zwei grobschlächtige Typen träumen inmitten einer vor neuen Angriffen flüchtenden Menschenmenge den großen Traum von einer heißen Badewanne, aus einem Radio tönt die „klare und eindeutige Wutbotschaft“ von Butros Ghali: „Der Chef der Schlümpfe hat den Serben gedroht, daß er eventuell überlegen wird, möglicherweise ernsthaft UNO-Flugzeuge...“ Und über den Straßen der Stadt schwebt ein gigantischer gelber Zeigefinger. „Boutros Ghali, New York“, steht auf einem Schildchen, das unter dem aufgeblasenen Gummifinger flattert. „Er ist hübsch der gelbe Wutfinger. Ober er dieses Mal bleiben wird, Mama?“, sagt ein kleines Mädchen unten auf der Straße. Dann schubst ihre Mutter sie energisch in Richtung des nächsten Luftschutzbunkers. Der aufgeblasene gelbe Finger leuchtet in „Sarajevo-Tango“ immer nur ganz kurz auf. Gefolgt von Kellerbildern und Zeichnungen der UNO-Emissäre, die je ein Loch eines großen Schweizer Käses bewohnen und verteidigen. „Ich mußte das zeichnen, mein Entsetzen war unerträglich“, sagt Zeichner Hermann Huppen, der mit seiner Geschichte „Jeremiah“ bekannt wurde, die von zwei Jungen im „postnuklearen Amerika“ handelt. In Sarajevo ist Hermann Huppen nie gewesen. Er ließ sich darüber erzählen. Die kleinen Ungenauigkeiten verdeckt der winterliche Schnee.