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„Diese Natter Waigel“

■ ... kann zwar den vergeigten Erstling des Briten Michael Ridpath auch nicht retten, enthüllt dafür aber wirklich alles über den dreisten Finanzschurken W.

Aus dem Katalog der sinnlosen Handlungen heute die Folge Jugend schreibt: „Ich fühlte mich herrlich. Ich hatte meinen Job wieder und würde es mir jetzt doch leisten können, das Häuschen meiner Mutter zu kaufen. Und ich konnte weiter mit Wertpapieren handeln. Aber das Wichtigste überhaupt: Ich hatte Cathy.“ So rührend brav endet, was Hoffmann und Campe phraselig einen „Thriller aus der Glitzerwelt des großen Geldes“ nennt: „Der Spekulant“, das Debüt des Briten Michael Ridpath.

„Fleiß ist die Wurzel aller Häßlichkeit“, schrieb Oscar Wilde; „Dumm sein und Arbeit haben, das ist das Glück“, ergänzte Gottfried Benn. Der 34jährige Ridpath hat leider beides ignoriert und knapp 500 Seiten ungelenken Biedersinn zusammengeklempnert. Seine durchsichtige Geschichte um viel Geld und etwas Fickificki funktioniert nicht einmal als simpler whodunnit: Wer nicht wegen Einfältigkeit seliggesprochen wurde, weiß schon nach kürzester Frist, wohin die Fahrt geht. Literarische Genüsse oder schnellen Spaß am Trash verweigert Ridpath seinen Lesern ebenfalls; lieber beschert er ihnen mit Allerweltslarmoyanzen über Aktienhändler und Börsenmakler ein paar ausgedehnte Schläferstündchen: „Nichts als Banditen, durch und durch verkommen!“ sind die „Junk-Bond- Buben“. Wo man doch geschworen hätte, die seien samt und sonders für Mutter Theresa am Start.

Weil dem aber nicht so ist, hat Paul Murray, Held der Schwarte, Grund zur Klage: „Ich fühlte mich betrogen und belogen. Schlimmer noch, ich kam mir dämlich vor“, plärrt er seine Befindlichkeit aus, wie ein Bewohner der fünf neuen Tränensäcke nach 1989. Frühzeitig ließe man die Bekenntnisse eines kritischen Traders, ja Dollardissidenten ins Altpapier gleiten, gäbe es da nicht eine Figur, die zumindest den deutschen Leser bei der Stange hält: ein Bilderbuchschuft namens Waigel, den der Autor offensichtlich nur ersann, um ihm sogleich restlos alle Widerwärtigkeiten dieser Welt in die Schuhe zu schieben.

Ja, „das Böse“ hat einen Namen: Waigel, Dick Waigel sogar, auf deutsch also: Schwanz Waigel. Und diese Comicfigur entschädigt den geprellten Leser wenigstens ein bißchen für den lahmen Zock. Als „ein echter Windhund“ wird Waigel eher zahm eingeführt (S. 230), kurz darauf sieht man ihn aber bereits „mit einem gezwungenen Lächeln, das vor Unaufrichtigkeit troff“ (S. 236). Langsam schießt sich der Autor auf seinen Feind ein: „das feiste, glänzende Gesicht Dick Waigels“ (S. 238), „der ekelhafte Dick Waigel“ (S. 242), „der abscheuliche Waigel“ und „die Giftkröte“ (beide S. 248). Waigel ist ein egoistischer Großkotz: „Sein Ego brauchte genausoviel Platz wie die sechs Leute, die für ihn arbeiteten“ (S. 261); ein mieser Chef, dessen Sekretärin „seine Dreistigkeit kaum ertragen“ kann (ebd.); ein Angeber ohne Stil – „Waigel hatte eine Menge Geschäfte gemacht, und er wollte, daß alle Welt davon erfuhr“ (S. 264); und geduldig oder schön ist er auch nicht: „... ihnen erschien, mit ungeduldig antreibenden Bewegungen, die untersetzte, halb kahlköpfige Gestalt Dick Waigels“ (S. 267), dessen „Platte“ man „schimmern sehen“ (S. 268) kann, vorausgesetzt, man hält seinem bohrenden Blick stand: „Waigels Blick wurde bohrender“ (ebd.). Kurzum: „Was für ein widerlicher Typ!“ (ebd.), bei dem einen nichts mehr überrascht: „Bei dieser Natter Waigel überrascht mich das nicht“ (S. 270).

Es folgen trost-, weil waigellose Seiten, in denen Murray sich weltläufig zeigt: New York findet er „so voller Überraschungen“, und über das „El Condor Pasa“-Gepfeife peruanischer Straßenmusiker gerät er vollends aus dem Häuschen: „Die Musik hatte etwas Magisches und beschwor karge Bergwände, kreisende Raubvögel und die ewige Einsamkeit des Andenhochlandes herauf.“ – Wer das Kiffen nicht verträgt, der soll es lassen, möchte man noch rufen, aber dann, ta-damm!, naht die Rückkehr des Waigel, ja, ER ist wieder da, „mit höhnischem Lächeln“ (S. 306) und vollgesogen mit Schlechtigkeit: „Waigel hatte bereits eine Menge Wein getrunken“ (S. 307) und baggert breit Cathy an, die Braut des Prinzen. „,Scheißkerl‘, murmelte sie“ (ebd.), allerdings nutzlos: Waigel folgt ihr halbnackt und ungebeten in den Pool: „Ein ziemlicher Fettring schwabbelte um den Gummizug seiner Bermudashorts. Er watschelte zu ihr hinüber“ (S. 315) und „ließ seine Hand fast beiläufig auf Cathys Schenkel sinken“ (S. 316). Murray verwandelt sich in ein Szenecafé und bietet Schutz vor sexistischen Übergriffen, worauf Waigels „nasses Fett auf den gefliesten Boden klatscht“ (ebd.). Doch der „Dreckskerl mit seiner Geilheit“ (S. 317) nutzt den Denkanstoß nicht zum Lernprozeß: „Sehr zu seinem Vergnügen fand Waigel einen Fernseher samt einer Auswahl pornographischer Videokassetten, die er begierig eine nach der anderen einlegte“ (S. 346), diese „Giftkröte“ (S. 350), über die Cathy weiß: „Männer wie Waigel gehen davon aus, daß man nur für eins gut ist“ (S. 353), was den Gutmenschen Murray zur Redundanz treibt: Für den abermals „Dreckskerl“ (S. 354) hat er nur „Verachtung“ (ebd.).

Elend viele Seiten, die von der Sensibilität des Autors, von seiner „Verletzlichkeit“, seiner „Trauer“, seinem „Schmerz“, der ihn „seelisch tief berührt“, und überhaupt seiner Wandlung vom gemeinen Geldscheffel zum protestantischen Tugut handeln, dauert es, bis alles heraus ist: Ein Zeuge „ist ermordet worden, wahrscheinlich von Waigel“ (S. 400); jede Sorte Verbrechen war „von vorn bis hinten Waigels Geschäft“ (S. 417); mal der Handel „mit Drogen“ (S. 420), bei dem er „der Kopf“ (ebd.) ist, mal „ein professioneller Killer, den Waigel angeheuert hatte“ (S. 421) – ganz klar: „Er ist gefährlich“ (S. 460), vor allem für Cathy: „Irgend so ein Schwein folgte ihr, beobachtete sie und wartete auf das Zeichen von Waigel, sie umzubringen“ (S. 466); „Waigel hat einen Killer auf Cathy angesetzt“ (S. 471). Am Ende aber ist „Waigel geschnappt“ (ebenda) und „im Gefängnis“ (S. 477). Hurra!

Wer diese lückenlose Enthüllung über einen Finanzschurken namens Waigel lesen muß, steht auch schon fest: Der Spiegel (30/95) empfahl den Schinken einer gleichsam literarisch gleichgültigen wie finanzfixierten Klientel und besprach „Der Spekulant“ euphorisch – im Wirtschaftsteil. Wiglaf Droste

Michael Ridpath: „Der Spekulant“. Aus dem Englischen von Karin Kersten. Hoffmann und Campe 1995, 479 Seiten, 44 DM

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