Petrinja ist jetzt eine Geisterstadt

In dem Ort im Norden der Krajina lebten vor 1991 20.000 Kroaten und 10.000 Serben. Die Einwohner sind vor der kroatischen Armee geflohen. Hunde und Katzen streunen durch die Straßen  ■ Aus Petrinja Erich Rathfelder

Die Spuren der Kämpfe sind unübersehbar: Die Scheiben der Geschäfte in der Hauptstraße von Petrinja sind zerborsten, die Giebel der Häuser und die Ziegel der Dächer zerbrochen, am Straßenrand liegen ausgebrannte Panzer. Bäume wachsen aus den kroatischen Häusern, die 1991 zerstört wurden, Gras frißt sich durch das Mauerwerk. In Petrinja, einer Stadt 60 Kilometer südlich von Zagreb, in der vor dem Krieg von 1991 30.000 Menschen lebten – davon 10.000 Serben – ist eine Geisterstadt. Immerhin, das Postamt funktioniert bereits. Doch die Arbeitskolonnen sind eher lustlos bei der Sache. Denn die Stadt in der fruchtbaren Ebene der Una ist menschenleer. Nur einige Soldaten der kroatischen Armee halten Wache. Hunde und Katzen streunen durch die Straßen. Der Krieg, der Petrinja zum zweiten Mal heimgesucht hat, hat alles menschliche Leben verschwinden lassen. Vor vier Jahren gelang es hier den serbischen Nationalisten, die mehrheitlich kroatischen Bewohner der Stadt in das kaum 12 Kilometer entfernte Sisak zu vertreiben. Die heftigen Kämpfe, die hier im Spätsommer 1991 tobten, machten zwei Drittel der Bevölkerung zu Flüchtlingen.

Zwischen den Ruinen richteten sich die verbliebenen Serben ein. Von der humanitären Hilfe lebend, abgeschnitten von Zagreb, fanden sie sich nach dieser ersten Runde des Krieges in einer nun gottverlassenen Gegend wieder, ohne Hoffnungen auf Besserung und eine Zukunft für sich und ihre Kinder. Die nationalistische Aufbruchsstimmung von 1991 verbrauchte sich. Die trinkenden serbischen Soldaten, die in Horden die Kneipen der Hauptstraße bevölkerten, jagten vielen der Frauen und Kinder Angst ein. Einige sprachen diese Angst bei einem Besuch im Herbst 1993 offen aus.

Viele Familien verließen die Stadt. Sie gingen nach Belgrad und von dort nach Kanada, Australien, Neuseeland oder die USA. Allein 1993 sollen über 2.000 Menschen abgewandert sein. Und der Aderlaß ging kontinuierlich weiter. Nicht nur in Petrinja, auch in der Krajina, in der Lika, im Kordun. Zwar behaupteten die Behörden noch kürzlich, 500.000 Menschen lebten in der Krajina, gleichzeitig jedoch forderten sie die Flüchtlinge – ohne Erfolg – auf, in ihre Heimat zurückzukommen. Zuletzt erst in einer Kampagne im Sommer 1995. Und als dies nichts half, wurden viele Männer aus der Region von serbischen Polizeikräften in Serbien verhaftet und zwangsweise in die Krajina verfrachtet. Als am Freitag morgen letzter Woche die kroatische Armee zum Angriff überging, gelang es ihr sogleich, wichtige Stellungen der Serben zu zerstören. Die Stadt wurde umzingelt, nur ein Korridor in die von Serben besetzte westliche Nachbarstadt Glina offengelassen. Die serbischen Kräfte konnten die Stadt bis Sonntag verteidigen. Als die serbischen Stellungen am Sonntag nachmittag fielen, war die Bevölkerung schon evakuiert.

Nur wenige Menschen sind in der Stadt geblieben. Die Hauptstraße ist übersät mit Scherben. Petar G., 48 Jahre alt, bewegt an einer Stelle Schutt. Er ist Kroate und sieht das Haus seiner Familie seit vier Jahren, „als wir alle fliehen mußten“, zum erstenmal wieder. Und er deutet auf die Mauerreste, dorthin, wo er geboren wurde. „Wir werden hierher wieder zurückkommen, wir werden hier wieder leben. Es ist unsere Stadt.“ Flüchtling, nein, Flüchtling wolle er niemals mehr sein.

Aber auch für die serbischen Familien, die jetzt geflohen sind, ist dieser Platz mit Erinnerungen verbunden. Auch für sie ist Petrinja ihre Heimatstadt. Doch es ist niemand da, der darüber sprechen könnte. „Warum sind nicht wenigstens einige geblieben, das gibt es doch gar nicht, daß alle geflohen sind.“ Der Mann wiegt seinen Kopf. „Einige werden sicher zurückkommen, wie in das von uns kürzlich eroberte Westslawonien. Letzte Woche haben 300 Serben den Antrag auf Rückkehr gestellt. Sie werden ganz normal in Kroatien leben können.“ Doch warum sind sie so plötzlich geflohen? In den Kneipen stehen noch die halbvollen Gläser auf dem Tisch, das Handwerkszeug des Schusters liegt in seinem Laden herum. „Sie hatten Angst vor Rache, und sie wurden, soviel ich weiß, von ihrer Armee aufgefordert zu gehen. Sie wurden evakuiert.“ Vielleicht ist die eigene Ideologie zur Falle geworden. Die Ideologie nämlich, bei den Kroaten von heute handele es sich um faschistische Ustaschen, die alle Serben umbringen würden. „Wir können nur durch Taten zeigen, daß dies nicht so ist, die Extremisten schürten Angst unter der Bevölkerung.“ Ein Soldat und ehemaliger Lehrer, der vor dem als Gemeindesaal eingerichteten orthodoxen Gotteshaus Wache schiebt, möchte, daß wenigstens die alteingesessenen Serben es sich noch einmal überlegen. „Kroatien kann auch weiterhin ein Land sein, wo Serben leben können. Einen serbischen Staat jedoch wird es auf unserem Boden niemals mehr geben.“