UNO: Ethnische Säuberung droht

■ Kroaten beschießen flüchtende Serben. UNO ist entsetzt über das Leiden in der Krajina

Genf/Zagreb/Knin (dpa/rtr/taz) – Nach dem Ende der Kämpfe in der Krajina zeigt sich die UNO besorgt über die Lage der Menschenrechte und das Elend der serbischen Flüchtlinge. Er sei „entsetzt über den Verlust von Menschenleben“, das Leiden der Zivilbevölkerung, die Verletzung der Menschenrechte und den „Exodus“ der Flüchtlinge, erklärte gestern der UN- Hochkommissar für Menschenrechte, José Ayala Lasso. Vier Teams sollen in den nächsten Tagen in die Krajina entsandt werden, um Menschenrechtsverletzungen zu registrieren und zu verhindern.

In der Krajina-Hauptstadt Knin kursierten gestern widersprüchliche Berichte über Übergriffe der kroatischen Armee auf Flüchtlinge. Einige Flüchtlinge sagten Journalisten, daß sie von den kroatischen Soldaten gut behandelt worden seien. Andere berichteten von willkürlichen Erschießungen. Eine Frau sagte, sie sei von einem kroatischen Soldaten sicher zum UN-Hauptquartier in Knin geleitet worden. Derselbe Soldat habe sie später zurück in die Stadt gebracht, um nach ihrer vermißten Schwester zu suchen. Dort habe sie ihre Schwester unversehrt gefunden, während sieben ihrer Verwandten erschossen worden seien. Eine andere Frau berichtete, daß ihr Mann, ein Offizier der serbischen Armee, auf der Flucht von einem Traktor gerissen und vor ihren Augen von kroatischen Soldaten erschossen worden sei.

Der Kommandeur der UN-Truppen in Knin, Alain Forand, sagte, er habe in den Straßen der Stadt 20 tote Zivilisten gezählt. Es habe sich aber ausschließlich um Opfer des Granatbeschusses vor dem Einmarsch gehandelt.

Nach Angaben von Hilfsorganisationen ist die Lage der Flüchtlinge, insbesondere im Norden der Krajina, katastrophal. Nach UN-Angaben sind rund 20.000 serbische Zivilisten und 30.000 muslimische Flüchtlinge dort eingekesselt. Die Menschen waren geflohen, nachdem die bosnischen Regierungstruppen die Hochburg des abtrünnigen Muslimführers Fikret Abdić, die Stadt Velika Kladuša, erobert hatten. Die kroatische Armee hatte in der Nacht zu Dienstag die Grenzstadt Dvor eingenommen und den letzten noch offenen Fluchtweg versperrt.

Sowohl in der Nähe der Krajina-Stadt Glina als auch in Nordbosnien wurden serbische Flüchtlinge beschossen. Südlich der bosnischen Stadt Banja Luka wurden fünf serbische Zivilisten, darunter ein fünfjähriges Mädchen, von der kroatischen Luftwaffe mit Maschinengewehren erschossen und zahlreiche Menschen verletzt. Weitere 10.000 Flüchtlinge sitzen nach UN- Angaben in Topuska, 55 Kilometer südlich von Zagreb, fest. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) forderte die kroatische Regierung auf, die Angriffe auf die Flüchtlinge einzustellen.

Die Gesamtzahl der Flüchtlinge aus der Krajina hat sich nach Schätzungen des UNHCR auf 150.000 erhöht. UNHCR- Sprecher Ron Redmond sagte gestern in Genf, rund 30.000 Menschen hielten sich in Banja Luka auf. Rund 100.000 seien entweder noch in der Krajina oder hätten die Grenze nach Nordbosnien bereits überschritten. Redmond erklärte, das UNHCR erwarte, daß die Krajina-Flüchtlinge wieder zurückkehren können. Wenn sie nicht zurückgelassen würden, sei dies „ethnische Säuberung“.

In Belgrad stellte sich die Führung der serbisch-orthodoxen Kirche offen gegen den serbischen Präsidenten Slobodan Milošević und forderte seinen Rücktritt. Die Bischofskonferenz beschuldigte Milošević und sein Regime, mit ihrer „kurzsichtigen“ Politik zum Verlust der Krajina beigetragen zu haben. „Die Regierungen Jugoslawiens, Serbiens und Montenegros sind unfähig, dieses Volk weiter zu führen“, meinten die Bischöfe und verlangten deren Rücktritt und die sofortige Bildung einer „Regierung des Volksvertrauens“. gb Seiten 8 und 10