Verblasene Tragik

■ „Tanz im August“ im Hebbel- Theater: Noch einmal Lucinda Childs

Parcours“ – das heißt soviel wie Wegstrecke, aber auch Laufbahn. Lucinda Childs hat nicht nur ihren Weg als Choreographin zurückgelegt, sie hat auch Karriere gemacht. Eine Berühmtheit, die einst mit Robert Wilson zusammengearbeitet hat. Lucinda Childs wirkte 1976 bei der Uraufführung der Oper „Einstein on the Beach“ mit. Die Musik schrieb Philip Glass, Robert Wilson inszenierte. Lucinda Childs choreographierte damals und tanzte auch selbst. Sie arbeitete auch später wieder mit Glass, dem Komponisten der Minimal music, zusammen. 1979 entstand „Dance“ (Bühnenbild: Sol LeWitt), das jetzt programmatisch an erster Stelle ihres „Parcours“ im Hebbel-Theater gezeigt wurde. Die anderen Arbeiten des anderthalbstündigen Abends stammen aus den Neunzigern. Zehn Personen umfaßt ihre heutige Truppe, die Childs selbst legt mal ein kleines Solo vor oder folgt den anderen wie ein schwarzer Schatten auf die Bühne. Es zeigte sich, daß Lucinda Childs stilistisch im Minimalismus hängengeblieben ist – die süßliche Einfachheit der Glass-Musik ist der melodramatisch aufgeladenen Eintönigkeit der Musik eines Henryk Górecki gewichen.

Vier Tänzerinnen und vier Tänzer durchlaufen paarweise die Bühne von einer Seite zur anderen. Kopf hoch, Rücken gerade, Beine und Arme fliegen zur Seite weg. Der Fluß ihrer Bewegungen ist völlig gleichmäßig. Auch wenn sich die Musik mal einen Moment zu beschleunigen scheint, bleiben ihre Bewegungen in sich völlig korrekt, makellos wie das Weiß ihrer Kleidung, das sich gegen den blau beleuchteten Bühnenhintergrund abhebt. Sprung, halbe Drehung, Sprung, die Tänzer und Tänzerinnen fließen vorbei, irgendwann brechen die Musik und die Bewegungskette abrupt ab. Hübsch, adrett, das sind die Adjektive, die mir dazu einfallen. Es ist erstaunlich, wie überholt die Musik eines Philip Glass heute wirkt. Lucinda Childs liebt die Cembalo-Musik. Von Luc Ferrari stammt die Musik für „Rhythm Plus“ (1991), das sich am deutlichsten vom tänzerischen Einheitsstil abhebt. Die Musik ist rhythmischer, abwechslungsreicher als die der anderen Tanzstücke. Das Cembalo wechselt ständig vom Baß in die hohen Tonlagen, dagegen trommelt und wühlt die Musik vom Band. Auch der Tanz wirkt dramatischer: Mal schreiten die insgesamt zehn Tänzer und Tänzerinnen vorwärts oder rückwärts, dann drehen sie sich weg, springen oder schlenkern die Beine schnell nach links und rechts. Sie nehmen Berührung auf: Je eine Frau rollt sich über den Rücken des Partners ab. Die Männer gehen dafür in den Handstand und rollen sich dann über die eigene Schulter auf den Boden.

Soviel Berührung, Abwechslung ist schon der Höhepunkt des Abends. Irgendwie paßt das Hochgereckte, Langgestreckte der Körper zu dieser Art von minimalistisch verblasener Tragik; versuchen sie dann ausnahmsweise mal, sich zu beugen oder gar den Körper zu krümmen, dann wirkt das schon fast ungelenk. Als wären sie gar nicht dafür geschaffen, als wären sie zu groß dafür. Als wäre ihnen die Musik in Fleisch und Blut übergegangen. Was ja eigentlich ein Lob ist, vorausgesetzt, man mag die Musik. Sabine Seifert

„Parcours“, Lucinda Childs Dance Company, heute, 20.30 Uhr, im Hebbel Theater