Falsches Spiel mit der neuen Autobahn

■ Haase verspricht Entlastung, doch Innenstadtbewohner werden davon nichts spüren / Abriß von zehn Wohnhäusern

Mit der geplanten Fortsetzung der Stadtautobahn durch den Ostteil der Stadt soll der Innenstadtbereich vor dem Autoverkehr „geschützt“ werden. „Wichtiges Ziel der neuen A100 ist die Entlastung der Innenstadt“, sagte gestern Verkehrssenator Herwig Haase (CDU), als er den genauen Trassenverlauf der 6 Kilometer langen Autobahn und 4,7 Kilometer langen Schnellstraße vorstellte. Täglich würden insgesamt bis zu 120.000 Kraftfahrzeuge weniger die Spreebrücken, Straßen des Innenstadtrings wie die Warschauer Straße und auch östliche Nord- Süd-Verbindungen wie die Rhinstraße befahren, weil diese Wagen den neuen sogenannten mittleren Straßenring nutzen würden. Doch von dieser Entlastung werden die Bewohner der Innenstadt faktisch nichts spüren, hieß es aus Haases eigener Verwaltung.

Der Verkehrssenator beruft sich auf ein Studie für das Jahr 2010, in der das Gutachterbüro IVU entsprechende Berechnungen durchgeführt hat. Die Gutachter haben dabei allerdings vorausgesetzt, daß im Innenstadtbereich die Berliner bei vier Fünfteln aller Wege und innerhalb des S-Bahn- Rings bei drei Fünfteln aller Wege auf ihr Auto verzichten.

Tatsächlich dürfe man sich die Entlastung nicht so vorstellen, daß etwa auf den Kreuzberger Kanaluferstraßen 30.000 Autos täglich weniger fahren werden, sagte dagegen Referatsleiter Georg Müller auf Anfrage: „Umgekehrt wird ein Schuh daraus.“ Ohne die neue Autobahn und Schnellstraße würde im Jahr 2010 die Leistungsfähigkeit der Innenstadtstraßen nicht mehr ausreichen, um den bis dahin weiter angewachsenen Autoverkehr bedienen zu können. Trotz des Neubaus würden die statistisch entlasteten Straßen „relativ hoch belastet“ sein.

Bei der Vorstellung der Trasse sagte der Verkehrssenator, daß die Stadtautobahn A100 im Ostteil durchgehend sechsspurig verlängert werde. Die 10,7 Kilometer lange Trasse verläuft von Neukölln über Treptow nach Lichtenberg, wo die neue Autobahn an der Frankfurter Allee endet und bis nach Prenzlauer Berg zur Ostseestraße fortgesetzt wird. Kosten: 1 Milliarde Mark. Höchstgeschwindigkeit: Tempo 80.

Von der 4,7 Kilometer langen Schnellstraße müssen 2,7 Kilometer neu gebaut werden, zum Teil unterirdisch im Tunnel. Zwei Kilometer der Schnellstraße verlaufen auf vorhandenen Straßen, Kreuzungen müssen dafür ausgebaut werden. Kosten für die Schnellstraße: 400 Millionen Mark; Höchstgeschwindigkeit: Tempo 60. Das gesamte Projekt kostet bei heutigen Baupreisen 1,4 Milliarden Mark. – Die neue A100 und die Schnellstraße sollen den sogenannten mittleren Stadtstraßenring komplettieren, der im Westteil bereits als Stadtautobahn vorhanden ist. Auf dem neuen Schnellstraßenstück rechnet der Verkehrssenator mit täglich 80.000 Kraftfahrzeugen und auf der neuen A100 mit 130.000 Kraftfahrzeugen.

Für die Autobahn müssen etwa zehn Häuser mit rund 130 Wohnungen abgerissen werden. Am Markgrafendamm am Ostkreuz muß ein denkmalgeschütztes Gebäude der Berliner Hafen- und Lagerhausbetriebe (BeHaLa) der Abrißbirne weichen. In Neukölln sollen darüber hinaus 20 Laubenpieper ihren Kleingarten verlieren.

Vorerst braucht allerdings keiner der Betroffenen den Baubeginn zu fürchten. Die knapp elf Kilometer lange Bundesstraße und Bundesautobahn muß Bonn bezahlen. Doch die Asphaltschneise zählt nicht zum „vordringlichen Bedarf“ des Bundesverkehrswegeplans. Geld gäbe es nur, wenn andere Bundesländer angemeldete Projekte nicht verwirklichen und deshalb Bundesgelder „zurückgeben“ würden. Deshalb sprach Verkehrssenator Haase gestern auch von einem Schubladenprojekt. Theoretisch könnte mit dem Bau der A100 und der Schnellstraße im Jahr 1999 begonnen werden. Dirk Wildt