Milošević als Verräter beschimpft

■ Oppositionelle in Belgrad bezeichnen die Berichterstattung über die Krajina in den serbischen Medien als zu distanziert

Belgrad (taz) – „Slobo, Sadame!“ „Slobo Ustašo!“ „Jzdaje!“ – Slobodan (Milošević), Saddam (Hussein), Slobodan, kroatischer Faschist!, Verrat! Die Wogen der Emotionen schlagen im Zentrum von Belgrad hoch. Über Megaphon wird die Forderung nach einer Generalmobilisierung laut, Waffen für das Volk, Intervention Restjugoslawiens in der Krajina!

Die Demonstranten, überwiegend junge Leute, lassen ihrer Wut über das Ende der Republik Krajina und über die Politik Miloševićs freien Lauf. Sie scheuen sich nicht, Milošević als Ustasha zu beschimpfen. Diese Anspielung auf das kroatische Ustasha-Regime, das mit Nazi-Deutschland kollaborierte, ist eine der schlimmsten Beleidigungen, die man einem Serben zufügen kann.

Es sind kaum mehr als 300 Leute, die bis zum Skupština, dem Sitz der serbischen Regierung, ziehen. Prominenz ist nicht dabei. Dennoch wird in Serbien allgemein verurteilt, daß die jugoslawische Regierung durch ihr politisches und militärisches Stillhalten den „Sieg der kroatischen Aggression“ sowie „eine ethnische Säuberung, die jene des Zweiten Weltkrieges übersteigt“, überhaupt erst möglich gemacht hat. Immer wieder wird spekuliert, daß hinter den Kroaten nicht nur die US-amerikanische Regierung steht, sondern daß es eine Absprache zwischen Tudjman und Milošević über die Aktion in der Krajina gegeben habe. Ein führender Vertreter der Demokratischen Partei aus der ostserbischen Industriestadt Niš hält der Belgrader Regierung vor, daß sogar das kroatische Fernsehen die Nachricht für bemerkenswert gehalten habe, daß das serbische Fernsehen über die „kroatische Aggression“ in der Krajina mit einer Distanz berichtet hätte, als habe sich der Angriff in Bangladesch zugetragen.

Alle Zeitungen in Belgrad sowie der unabhängige Radiosender B 92 berichten von Schikanen gegenüber den Flüchtlingen – nicht von kroatischer, sondern von der bosnisch-serbischen Seite: „Geht doch nach drüben!“ „Grüßt unsere serbischen Brüder!“ Auf der anderen Seite des Grenzflusses Drina hätte denn auch zunächst niemand außer der Miliz bereitgestanden, die hungrigen und durstigen Menschen zu empfangen und mit dem Notwendigsten zu versorgen. Private Anbieter hätten beispielsweise einen Liter Saft oder ein belegtes Brot für 5 Mark angeboten – nicht im Gegenwert von Dinar, sondern gegen Devisen.

Nach Ansicht des „Helsinki Komitees zur Verteidigung der Menschenrechte“ in Belgrad tragen sowohl das „Regime“ in Belgrad als auch die Architekten des großserbischen Projektes die größte Verantwortung für das, was passiert ist. Das solle aber nicht die Regierung in Kroatien amnestieren. Das Komitee appelliert sowohl an die jugoslawische Regierung, den Flüchtlingen die Einreise nach Jugoslawien zu gestalten, als auch an die kroatische Regierung, ihnen die Rückkehr zu ermöglichen und ihnen Sicherheit und Bürgerrechte zu garantieren. Ursula Rütten