Atombomben vergiften auch indirekt

Durch Bauarbeiten für die Tests werden Fischgifte in Korallenriffen freigesetzt. Auf manchen Atollen leidet deshalb über die Hälfte der Bewohner an der tückischen Ciguatera-Krankheit  ■ Von Reiner Metzger

Berlin (taz) – Atombomben schädigen die Menschheit oft auf verschlungenen Wegen. Viele Fischvergiftungen im Pazifik werden durch die militärischen Aktivitäten der Atommächte Frankreich und USA ausgelöst. Nicht nur radioaktive Partikel reichern sich in der Nahrungskette von Algen und Plankton bis zum Raubfisch an. Genauso tückisch ist die Anreicherung von Stoffen, die bei Menschen die Krankheit Ciguatera auslösen.

Immer wieder treten rätselhaftes Erbrechen, Durchfall, gestörtes Sehvermögen und andere Symptome bei den Anwohnern der tropischen Meere auf. In schweren Fällen kann es zu Hirnnerven- und Atmungslähmung kommen, vereinzelt sterben die Menschen sogar daran. Ciguatera während der Schwangerschaft führt zu Vergiftungen beim Fötus oder zu Fehlgeburten. Die Krankheit bricht aus, wenn Korallenriffe, die Heimat vieler tropischer Fische, gestört werden – sei es durch Erdbeben, Bauarbeiten oder durch die Erschütterungen der Atomtests. Es ist noch ungeklärt, ob sich giftige Bakterien oder das entsprechende Plankton vermehren. Sicher ist jedoch, daß nach den Störungen die Fische verschiedene Toxine in sich anreichern. Auf Fische wirken die Gifte jedoch kaum, erst beim Menschen werden sie wirksam. „Seit 1963 steigt die Zahl der Ciguatera- Fälle in Französisch-Polynesien dramatisch an“, sagt Tilman Ruff vom Zentrum für Medizinforschung im australischen Melbourne. „In den 50er Jahren waren es pro Jahr etwa 200 Fälle bei den etwa 200.000 Bewohnern, seit den Atomtests der Franzosen erkranken jährlich zwischen 700 und 1.000 Menschen“, so Ruff. Auf den Atollen Hao und Mangareva bei Moruroa liegen die Landebahn, Kasernen und eine Marinebasis der französischen Armee. Dort konnten Forscher die einheimische Bevölkerung befragen. „Auf Hao waren 44 Prozent an Ciguatera erkrankt und auf Mangareva sogar 56 Prozent. Vor der Landung der Franzosen gab es Ciguatera dort überhaupt nicht“, berichtet Ruff.

Das Tückische an der Krankheit: Je öfter man sich vergiftet, desto schwerer sind die Symptome. Viele Erkrankte reagieren schließlich auch auf unvergifteten Fisch oder andere Nahrungsmittel wie zum Beispiel Alkohol. Tilman Ruff: „Sie trinken zwei Jahre nach dem Ausbruch der Krankheit ein Gläschen Champagner auf der Hochzeit eines Verwandten, und schon liegen sie wieder darnieder.“ Das Gift ist geschmack- und geruchslos. Auch durch Kochen oder Gefrieren kann der Schaden nicht vermieden werden.

Eigentlich ernährt sich die Bevölkerung im Südpazifik zu einem großen Teil von selbstgefangenem Fisch. Die örtliche Wirtschaft hängt stark von der Küstenfischerei ab, und die liegt darnieder. Denn durch die vielen Ciguatera- Fälle ist das Fischen sehr gefährlich geworden, die Leute weichen auf importiertes Essen aus. Inzwischen stammen in manchen Gegenden des Pazifiks 90 Prozent des Fischs aus Dosen. Abgelegene Inseln werden deshalb verlassen, weil der Transport des Nahrung dorthin zu teuer ist. Die Kosten für die Evakuierung, die medizinische Behandlung und die Verkaufsverbote für bestimmte Fische dürften weit über den Millionen liegen, mit denen Frankreich jedes Jahr die Region subventioniert.