Der unsichtbare Dritte ist stets vor Ort

SPD-Parteichef Rudolf Scharping reist durch die Lande. Wo er auch hinkommt, er trifft auf Gerhard Schröder  ■ Von Karin Nink

Rudolf Scharping unterwegs in Deutschland. So hat der SPD-Chef seine Sommerreise durch die Republik betitelt. Sie hätte auch heißen können „Reisen mit einem blinden Passagier“. Denn Scharpings Rivale Gerhard Schröder ist immer dabei. Wo der Parteivorsitzende erscheint, steht der niedersächsische Konkurrent wie ein unsichtbarer Schatten hinter ihm. „Sind Sie nur deswegen zu uns gekommen, weil Schröder auch zweimal hier war?“ wird Scharping gefragt, als er ein Unternehmen im Schröder-Land Niedersachsen besucht. Der SPD-Chef schüttelt den Kopf. „Nein. Ich will mich mit dem konfrontieren, was tatsächlich vor Ort bei den Leuten geschieht. Denn eine Politik, die sich nur auf den parlametarischen Betrieb und die Öffentlichkeitsarbeit bezieht, ist sehr kurzatmig“, verkündet er sein politisches Credo.

Daß er, Rudolf Scharping aus Lahnstein, einen langen Atem hat und zäh ist, will er nicht nur seinem Widersacher aus Hannover und der Öffentlichkeit beweisen, sondern auch und nicht zuletzt sich selbst. Zwar will er Schröder weiter im SPD-Team haben. Doch er ist nicht länger willens, die Querschüsse des Hannoveraners ungestraft und tatenlos hinzunehmen.

Das Einvernehmen der Parteispitze hat er. Diese hat am Montag während einer Telefonkonferenz Scharping den Rücken gestärkt. Es heißt, Parteivize Oskar Lafontaine habe vorgeschlagen, den Führungsstreit für beendet zu erklären und den Vorsitzenden zu unterstützen. Widerspruch habe es nicht gegeben. Allerdings hatte Schröder – wie so oft – an der Konferenz erst gar nicht teilgenommen.

Scharping scheint sich sicher, als Person und Führungsfigur aus den Querelen schadlos hervorzugehen. Die Partei aber hat längst Schaden genommen. Das wurmt ihn: Die Partei soll durch Sachverstand und nicht durch unnötige Personaldebatten glänzen.

„Einen Kapitän haben wir in der SPD, nur mit dem gemeinsamen Ruder klappt das noch nicht so ganz“, resümiert er, bevor der Fischkutter ihn zum Feriendomizil des NRW-Landesvaters Johannes Rau auf die Nordseeinsel Spiekeroog bringt. „Dann halt das Steuer auch gut fest“, ruft ein Tourist ihm zu. Das scheint auch nötig. Denn just in dem Moment erfährt er von einem Schröder-Interview, in dem dieser ankündigt, sich bis zu den Wahlen in Berlin in Zurückhaltung üben zu wollen. Letztlich habe er Scharping aber noch einiges zu sagen. „Ist doch alles sehr freundlich“, kommentiert der Parteichef trocken, wohl wissend, daß Schröder ihm noch eine Menge Steine in den Weg werfen kann.

In der Öffentlichkeit ist der Parteivorsitzende als Kanzlerkandidat nicht mehr unangefochten. Selbst wenn der Parteitag im November Scharping als Parteivorsitzenden wiederwählt und gleichzeitig zum offiziellen Kanzlerkandidat kürt, kann sich der Westerwälder noch nicht in Sicherheit wiegen. Schneiden die Sozialdemokraten bei den Landtagswahlen in Rheinland- Pfalz, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein im nächsten Jahr schlecht ab, wird das für Scharping eine Hypothek, aus der Populist Schröder sicher seinen Vorteil suchen wird.

Scharping will aber nicht nur innerhalb der Partei klar Schiff machen. Er legt auch den Kurs für sein Ziel, Kanzler zu werden, in bisher ungewohnter Deutlichkeit auf Rot-Grün fest: Das jüngste Grundsatzpapier von Joschka Fischer wertet er als Versuch, die Außenpolitik der Grünen „mit der SPD kompatibel zu machen“. Und wer das rot-grüne Koalitionspapier in Nordrhein-Westfalen kenne, brauche um die Wirtschaft keine Angst zu haben. So beruhigt Scharping den Betriebsrat eines NRW-Chemieunternehmens, der die Düsseldorfer Koalition genauso zu fürchten scheint wie die Unternehmensleitung. „Was darin steht, kannst du so fast problemlos auf ganz Deutschland übertragen“, sagt Scharping. Mit Detailwissen gespickt rechnet er vor, daß die ökologische Modernisierung der Wirtschaft keine zusätzlichen Kosten verursachen werde. Der Belegschaft scheint das nicht zu reichen: „Der hat hier nicht als Mensch, sondern nur als Parteivorsitzender gesprochen“, klagt ein Jugendvertreter. Er hatte sich „mehr Offenheit und persönliche Aussagen“ gewünscht.

Auch wenn es ihm an der Spontanität fehlt, offen auf Menschen zuzugehen, ohne sich hinter einem Berg von Fachwissen verstecken zu können – Scharping kommt bei den meisten Leuten an. „Das ist endlich mal ein Politiker, der einfach zuhört, ohne ständig selber reden zu wollen“, lobt ihn nach einer Diskussion mit jungen Wissenschaftlern ein Student in Münster, der sich nicht gerade zu den SPD-Wählern zählt. Ein Kompliment, das Scharping gerne hört. Schließlich sucht er den Dialog. Auch mit seinem Mentor Johannes Rau. Beide haben sich auf Spiekeroog über eine Stunde unterhalten. Der unsichtbare Dritte war natürlich auch dabei.