Mit einem Schuß Erotik

■ Vom argentinischen Tango bis zum Wiener Walzer – mehr als 50 Schulen und Studios bitten in Hamburg zum Paartanz Von Edwin Feindt

Es muß nicht immer Techno sein. Zwar locken Nebelschwaden und Stroboskop-Gewitter an den Wochenenden immer noch tausende Frauen und Männer in die Hamburger Klubs und Diskotheken. Doch die Vereinzelung beim Kollektivtanz stößt auch auf Ablehnung. Der Wunsch, mit dem/der PartnerIn gemeinsam zu tanzen, treibt Frauen wie Männer auf die Suche nach Alternativen. Und das vielfältige Angebot der etwa 50 Hamburger Tanzschulen und -studios stellt sie vor die Qual der Wahl.

Wer die traditionellen Gesellschaftstänze wie Walzer oder Quickstep, bevorzugt, kann unter etwa 30 Tanzschulen wählen, die alle dem Allgemeinen Deutschen Tanzlehrer-Verband (ADTV) angehören. Aber keine Angst, strenger Drill oder eine feste Kleiderordnung sind inzwischen weitgehend verpönt. „Hauptsache, sie fühlen sich wohl“, betont Kerstin Busch von der Tanzschule Möller in Altona. Selbst Turnschuhe, unverzichtbar für das vollendete jugendliche Outfit, werden bei ihr geduldet: „Die Jugendlichen stellen irgendwann selber fest, daß sie besser mit Lederschuhen tanzen.“ Zu aktuellen Radio-Hits übrigens, die längst die Big-Band-Klänge eines Hugo Strasser oder Max Greger abgelöst haben. Und auch das Fach „Gutes Benehmen“ wurde ersatzlos gestrichen: „Wir unterrichten praxisbezogen“, beschreibt Norbert Kohl, Vorsitzender des ADTV-Landesverbands Hamburg, das heutige Verständnis der Schulen. Ziel sei es, daß die Leute in jeder Situation, ob auf einem Ball oder in der Disko, passend zur Musik tanzen können.

Obwohl sich die Sitten gelockert haben, zieht es viele Frauen und Männer statt in die traditionelle Tanzschule in eines der 20 Studios. Worin der Unterschied liegt, beschreibt Matthias Möbius vom Studio Danza y Movimiento: „In den Schulen werden meist standardisierte Schritte und Figuren eingeübt, die wenig Spielraum lassen. Wir zeigen unseren Schülern die Grundschritte und versuchen ihnen das Gefühl für ihren eigenen Körper und den Rhythmus der Musik zu vermitteln, damit sie beim Tanzen improvisieren können.“

Besonders die lateinamerikanischen und karibischen Tänze in ihren ursprünglichen Formen seien dafür geeignet. Bei Samba, Salsa, Cumbia oder Merengue werde nicht die korrekte Haltung bewertet, sondern die Paare sollen miteinander tanzen und sich aufeinander einstellen. „Der Mann muß die Frau für sich gewinnen“, schildert Matthias Möbius dieses spezielle Feeling, „da ist natürlich ein Schuß Erotik drin.“

Der fehlt auch nicht beim immer beliebter werdenden „Tango argentino“, ist dort allerdings ein wenig subtiler: „Im Gegensatz zu Samba und Salsa, die vor Energie sprühen, hat Tango eine starke innere Ruhe und zeigt seine Gefühle nicht so exponiert“, charakterisiert Sabine Rohde vom Tango Azul beide Tanzrichtungen. Neben der Möglichkeit, von Alejandro Sanguineti, einem echten Tangolehrer aus Buenos Aires, unterrichtet zu werden, bietet das einstige Tango Exil auch Kurse nur für Frauen an. „Frauen haben mehr Gefühl fürs Tanzen und tanzen deshalb gerne miteinander“, hat Sabine Rohde beobachtet. „Außerdem wollen sie auch mal zwischen Führen und Geführtwerden wechseln.“

Hier zeigt sich ein weiterer Unterschied zwischen den Tanzschulen und -studios: Während sich die Schulen mit gleichgeschlechtlichen Paaren noch immer schwer tun, stehen ihnen die Studios aufgeschlossener gegenüber. „Mir ist es egal, wer mit wem tanzt, ich mag es gern bunt“, bekennt Sabine Rohde.

Wer es nicht nur bunt, sondern auch klassisch mag, dem seien zum Abschluß die Workshops „Historische Tänze der Renaissance und des Barocks“ im Studio Baladin empfohlen. Und wer sich professionell übers Parkett bewegen will, kann einem der 80 Vereine des Hamburger Tanzsportverbandes beitreten. Mit 9111 Frauen und Männern, die Turniertanz, paarweise oder in Formation, als Leistungs- und Breitensport betreiben, steht Tanzen immerhin auf Platz acht der hanseatisch-sportlichen Beliebtheitsskala.