Wieder entwaffnung jetzt

■ Nur das Angebot, ein entwaffnetes Jugoslawien in die Europäische Union aufzunehmen, wäre der erfolgversprechendste Weg

„Pazifistische Lebenslügen“ – Klaus Jarchow zeigt ebensoviel Integrationsfähigkeit, wie ein Tornado-Kampfflugzeug friedensstiftende Wirkung ausstrahlt. Eine „Medienverschwörung“ sieht er nicht, stattdessen Pazifisten gleichberechtigt am Diskurs beteiligt. Mag das für die genossenschaftlich organisierte taz mit gering ausgeprägter Hierarchie noch gelten. Andere Medien schließen mit weniger Diskussion von den Bildern aus Bosnien auf die Notwendigkeit eines Militäreinsatzes. Aber selbst Erich Rathfelder, Korrespondent der taz im Kriegsgebiet, erliegt regelmäßig der Faszination von Uniformen und beschränkt sich auf detaillierte Berichte über Truppenbewegungen. Interessant sind die Fragen, die er nicht stellt: Was erwarten die bisher stationierten Truppen von der deutschen Unterstützung, um die sie angeblich so dringend ersucht haben? Welche Meinungen über die Ursachen des Krieges im ehemaligen Jugoslawien hat die Zivilbevölkerung? Und welche Visionen für eine Befriedung möchte sie entwickelt wissen? Gilt es doch Verhandlungsstrategien zu entwickeln, mit denen die Kriegstreiber in Serbien gegenüber der eigenen Opposition und ihrem Verwaltungsapparat in Bedrängnis zu bringen wären. So verspräche zum Beispiel eine international anerkannte jugoslawische Föderation auch der serbischen Bevölkerung eine zukunftsweisendere Perspektive als ständig der Mobilmachung für die Front ausgesetzt zu sein.

Die fehlende Erarbeitung einer Strategie soll jetzt durch einen Einsatz der Bundeswehr übertüncht werden. Dem Befürfnis folgend, die grausamen Bilder aus Bosnien vom Fernsehschirm verschwinden zu lassen, wird dem erstbesten Anbieter eines vermeintlichen Befriedungskonzepts nachgegeben. Sicher, die Pazifisten haben auch kein fertiges Konzept in der Tasche. Aber ihnen sind auch nicht die finanziellen Mittel zugeflossen, wie den Herstellern sogenannter Wehrtechnik. Und während der ganzen Einsatzdiskussion wurde ihnen auch kein Raum gelassen, eines zu entwickeln. Ständig galt es zustimmen zu sollen, daß Militäreinsätze einzig mögliche Reaktion auf das Grauen in Bosnien wären.

Eine Politik im ehemaligen Jugoslawien, welche einseitig „die Serben“ zum faschistischen Aggressor erklärt, ist deshalb zum Scheitern verurteilt. Diese Strategie wird auch dem Schutzzonenkonzept der UNO zum Verhängnis. Eine Politik im ehemaligen Jugoslawien kann sinnvoll nur auf die Stärkung der demokratischen Strukturen in allen Teilen des ehemals liberalsten Staates des Ostblocks ausgerichtet werden. Dazu bedarf es der Selbstverteidigungsmöglichkeit für die bosnische Bevölkerung ebenso, wie Vermittler, die einen Herrn Mladic oder Karadzic nicht als Faschisten beschimpfen. Diese Herren werden für einen Machterhalt innerhalb ihres Herrschaftsbereichs weitgehende Verhandlungszugeständnisse machen. Es droht ihnen etwa die Gefahr, daß die Bevölkerung wegen vorenthaltener Perspektiven über Tyrannenmord nicht nur nachdenkt. Man erinnere sich an das Ende von Nicolae Ceaucescu und seiner Gattin.

Ein militärisches Eingreifen insbesondere der Bundeswehr kann diesen Weg der Demokratisierung nur behindern. Der jetzige Drang einzugreifen stellt insofern Nachwehen der Überwindung des kalten Krieges dar. Die westliche „Wertegemeinschaft“ hat sich der westlichen Teile des ehemaligen Jugoslawiens angenommen und drängt darauf, diese zu befrieden. Auf ein gemeinsames Konzept mit Rußland wird verzichtet. Die Parteinahme Rußlands für Serbien entpuppt sich als Mischung aus Trotz und Fürsorge.

Pazifismus im geeinten Deutschland kann deshalb nur heißen, dieses Land von den Fehlern des kalten Krieges zu befreien und auf militärische Einmischung international zu verzichten. Pazifismus in Deutschland verlangt: Wiederentwaffnung – jetzt. Eine föderale Struktur eines Staates ist ohnehin der beste Schutz gegen vermeintliche Feinde. Dezentrale Verwaltungs- und Wirtschaftsstrukturen, dezentrale Presse und dezentrale Rundfunkanstalten machen es unmöglich, ein Land einzunehmen und die Bevölkerung zu kontrollieren.

Die Bundeswehrführung weiß um ihr Legitimationsloch und drängt nach dem Fall der Mauer auf eine neue Daseinsberechtigung. Dahinter stehen starke wirtschaftliche Kräfte, wie die Sparte „Verteidigungstechnik“ des Daimler-Benz-Konzernes. Dieser befindet sich mehrheitlich in den Händen der Deutschen Bank. Die Finanzierung von Beschaffungen der Hardthöhe und die Produktion technisch hochentwickelter Kampfausrüstung ist für deutsche Großbanken ein gewinnbringendes Geschäft. Sicherer zum Beispiel als es Betriebe in den fünf neuen Bundesländern wären, welche die Belegschaft über Anteilsscheine kontrolliert. Nach Somalia und mit der Aussicht auf UNO-Einsätze der Bundeswehr schreibt die Sparte „Verteidigungstechnik“ des DaimlerBenz-Konzerns erstmals wieder schwarze Zahlen. Wer immer sich der Schmähung „intellektueller Dünnbrettbohrer“ in „linkspazifistischen Schrebergärten“ hingibt und Militäreinsätze der Bundeswehr befürwortet, biedert sich diesen Interessen an.

Wer Militäreinsätze der Bundeswehr im Ausland haben will, soll sie politisch durchsetzen und dafür die Verantwortung tragen. Die Befürworter können sich dann gegebenenfalls Erfolge an die Brust heften oder sie stehen vor ihrem eigenen Scherbenhaufen. Pazifisten anzugreifen, sie mögen einsehen, daß sie sich belügen, sie zu bedrängen Verantwortung für einen Militäreinsatz zu übernehmen, den ihnen ihr Gewissen verbietet, das ist billig, schäbig und feige. Klaus Jarchow ist jedoch herzlich eingeladen, mit seinen Intellekt für sinnvollere Ziele zu streiten als für Militarismus.

Erfolgversprechendster Weg über Verhandlungen eine schnelle Demokratisierung voranzutreiben, wäre die Zusage, eine jugoslawische Föderation in die Europäische Union aufzunehmen. Nach einer Abrüstung des heutigen Kriegsgebiets, nach Wahlen unter internationaler Beobachtung sowie nach Zustimmung der Bevölkerung zu einer föderalen Verfassung und zum Beitritt könnte dieser zügig vollzogen und der Wiederaufbau eingeleitet werden. Einziger Hinderungsfaktor bleibt die NATO – ebenfalls eine Institution des kalten Krieges. Helmut Kohl hatte kürzlich die Aufnahme in die EU und die Aufnahme in die NATO für Polen zu untrennbaren Akten erklärt. Die NATO ist ebenso wie die Bundeswehr für ein friedliches Europa zu opfern. Dirk Burchard