„Wie sähe die Welt aus, wenn ...“

■ Eine klare militärische Option der UNO wird es nicht geben / Die Grünen müssen die pazifistische Alternative verkörpern

Das Ende des Mordens in Ex-Jugoslawien ist nicht abzusehen. Der Wiederbeginn der kriegerischen Handlungen zwischen Kroatien und Serbien bringt eine weitere erschreckende Eskalation. Keiner kann aus den jetzt gegebenen Bedingungen eine Perspektive entwickeln, die aus diesem Dilemma ohne Risiko einer Ausweitung des Krieges und Mordens herausführt.

Joschka Fischer hat zwei Alternativen gegenübergestellt:

-militärischer Schutz der Schutzzonen, die er für notwendig erachtet (was wohl einen Schutz der Hilfslieferungen einschließt)

-und Abzug der Blauhelme mit gleichzeitiger Aufhebung des Waffenembargos.

Mit Klarheit und ohne Diffamierung der Alternative, die er selber nicht vertritt, legt er Begründungen und Folgerungen für beide Alternativen dar. Joschka Fischer bewegt sich mit seinen Überlegungen im Geflecht der Denkweisen, die die Kontakte zwischen Regierungen von Staaten bestimmen – ob sie nun demokratisch oder weniger demokratisch strukturiert sind. Es geht um Konkurrenz, Macht, Eigenständigkeit der Staaten. Für ihre Sicherung und Entwicklung sind militärische Überlegungen und Mittel in aller Selbstverständlichkeit einbezogen.

Carl Friedrich von Weizsäcker war nach dem erschütternden Ereignis des Atombombenabwurfs ber Hiroshima und Nagasaki zu dem Schluß und der Überzeugung gelangt, daß ein zukünftiger Einsatz der Atombombe letztlich nur verhindert und ausgeschlossen werden kann, wenn der Krieg selbst von Staaten und Völkern als Mittel der Konfliktlösung geächtet wird.

In der Zeit der Blockkonfrontation hatte die Atombombe wohl dazu beigetragen, daß zwischen den Machtblöcken kein Krieg vom Zaun gebrochen wurde. Aber militärisches Denken, Einsatz von Waffen und damit Krieg als Möglichkeit ist weiterhin maßgebender Bestandteil in der Reaktion auf Konflikte zwischen Staaten – trotz gegenstrebender Bemühungen der UNO.

Machtwille und Gewaltbereitschaft treiben Menschen in Bosnien (und vielen anderen Stellen unserer Erde) zu grauenhaftem Terror. Aus diesen Realitäten darf und kann keiner – nicht das Individuum und nicht die Gesellschaft – flüchten. Joschka Fischer kommt in dieser Situation zu der Konsequenz, „man müsse die Schutzzonen militärisch schützen“.

Es ist nicht auszuschließen, es spricht sogar vieles dafür, da eine konsequente Befolgung internationaler Maßnahmen und Beschlüsse zur Konfliktminderung unter Einschluß militärischer Macht die Eskalation von Gewalt, Terror und Elend der Menschen in Bosnien wesentlich eingedämmt hätte und jetzt noch eindämmen würde. Aber erstens hat die traurige Tatsache, daß die in der UNO vertretenen Staaten zu keiner einheitlichen, also auch nicht konsequenten Haltung und Handlung finden, zur Folge, daß nicht nur die formulierten befriedenden Absichten für Bosnien und Ex-Jugoslawien unerfüllt bleiben, sondern darüber hinaus die Hoffnung auf die Frieden stiftende Kraft der UNO als eine Institution der Völkergemeinschaft zerrüttet wird. Zweitens wird der eigentliche Konflikt in den Teilen Ex-Jugoslawiens mit einem militärischen Einsatz von außen bearbeitet und zu lösen versucht. Zu einer Bewältigung dieses Konfliktes gehört aber die aktive Beteiligung der Bevölkerung. Dieser Krieg kann nur von unten überwunden und beendet werden. (Krippendorff, taz 30.6.)

Als Individuum und Person könnte ich es hinnehmen, akzeptieren und für zwingend erachten, wenn dem Treiben der Kriegsverbrecher dort auch mit militärischen Mitteln schnell ein Ende bereitet würde. Als Person und als Mitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen halte ich es angesichts der realen Perspektiven für die beiden von Joschka Fischer aufgezeigten Alternativen nicht nur für berechtigt, sondern für zwingend und notwendig, daß von Bündnis 90/Die Grünen eine dritte Alternative vertreten wird: Alles, was dazu beiträgt, den Lebensmut zu stützen, die Hoffnung auf ein konfliktfähiges Miteinander im gesellschaftlichen Beziehungsgeflecht zu aktivieren, die Kraft all derer zu stärken, die sich nicht in die Gewaltspirale hineinziehen lassen wollen, ist meines Erachtens das reale Handlungsfeld, daß sich konsequent aus der friedenspolitischen Grundhaltung, die die Grünen aus der Friedensbewegung übernommen haben, ergibt. Bisher ist diese Alternative in der taz meines Wissens vor allem von E. Krippendorff vertreten worden.

Wie sähe die Welt aus, wenn wirklich alles getan worden wre, um die Kriegsparteien selbst militärisch auszutrocknen; wenn wirklich alles getan worden wäre, die Bereitschaft großer Teile der jugoslawischen Bevölkerung zu unterstützen, die sich gegen die nationalistischen Strömungen und für ein konstruktives Miteinanderleben eingesetzt haben und immer noch einsetzen – wenn auch unter immer schwierigeren Bedingungen und in geringerer Zahl.

Gut, die Frage „Was wäre, wenn... “ hilft uns jetzt nicht. Und wir können auch nicht damit rechnen und darauf setzen, da die Bundesregierung diese Alternative einer „Friedenspolitik von unten“ übernimmt. Aber Joschka Fischer kann auch nicht damit rechnen, daß die für seine Option notwendigen Partner sich auf seine Option einigen. Ich frage mit Joschka Fischer: „Was ist zu tun, wenn alle bisherigen Mittel schlicht versagt oder zumindest nicht gegenber der militärischen Gewalt ausreichend gewirkt haben“, ich setze fort „und keine reale Aussicht besteht, daß sie in Zukunft zu einem besseren Erfolg geführt werden?“

Meine Antwort ist: Zum Programm erheben und in Handlungen umsetzen, was viele Tausende von Individuen, Hunderte von Initiativen seit Jahren tun. Ich zitiere aus dem letzten Bericht des Komitees für Grundrechte und Demokratie: „... Zusammenarbeit mit und Unterstützung von 13 Menschenrechtsgruppen, die in Kroatien arbeiten, sowie mit der Antikriegskampagne in Zagreb und weiteren Antikriegsinitiativen, z. B. in Sarajewo, Tuzla, Belgrad, Osijetz, Patwac. Die Aktion „Kriegskinder machen Ferien“ hat für mehr als 1.000 Flüchtlingskinder aus Slavonski Brod und Umgebung organisiert. (...) Finanzielle Unterstützung von „SOS-Notruf für Mädchen“ in Belgrad. Unterstützung der freien Organisation „Zdravo da ste“, die 43 Flüchtlingslager in Serbien, Montenegro und der Vojvodina betreut. (...) Die geleistete Hilfe des Komitees beläuft sich seit Nov. 91 auf einen Wert von 6,8 Mio. DM, die ausschließlich durch freiwillige Spenden überwiegend aus dem Umfeld des Komitees und der Friedensbewegung aufgebracht werden.“

„Es geht hier nicht um eine nur individuelle moralische Entscheidung, die zu respektieren ist, sondern um die Forderung eines politischen Pazifismus“, wie Hermann Kuhn in der taz v. 5./6.8.95 sagt. Ich halte es für einen entscheidenden Mangel, wenn Bündnis 90/Die Grünen die angemessene Übertragung ihrer friedenspolitischen Grundhaltung auf die jetzige Situation aufgeben und sich allein auf die von den Regierungen bestimmten Strategien einlassen, die immer militärische Maßnahmen einbeziehen. Nicht weil die Grünen mit dem Slogan „gewaltfrei“ in die parteipolitische Arena eingestiegen sind, müssen wir diesem Grundsatz treu bleiben, sondern weil diese Position in der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung auch von parlamentarischen Gruppierungen getragen werden muß.

Die friedenspolitische Position wird gespeist aus einer an den Menschenrechten orientierten Grundhaltung; aus einer Ethik, die die Zuwendung zum anderen im Miteinanderleben zur Leitlinie hat. Ist es kein parteipolitisch adäquates Handeln, wenn solche ethisch-moralischen Grundhaltungen in gesellschaftsbezogenes Handeln umgesetzt werden? Es kann sinnvoll sein, da sich Bündnis 90/Die Grünen in Parlamenten und in der Außenpolitik einsetzen für Schritte, die nicht ins Grundsatzprogramm passen, um geringe Veränderungen des Ist-Zustandes im machtpolitischen Gerangel zu erreichen. Aber wenn Bündnis 90/Die Grünen solche Handlungsmuster als einzige politische „Realität“ sehen, beschränken sie sich auf parlamentarische Möglichkeiten und verringern wesentlich die Mitwirkung und Teilhabe an einer notwendigen Umgestaltung des Werteschemas für die Gestaltung unserer und der globalen Gesellschaftsordnung.

Bündnis 90/Die Grünen sind aufgefordert, einen Spagat auszuhalten und zu wollen. Der Spagat besteht darin, einerseits orientiert auf Regierungsbeteiligung in bewußten Kompromissen kleine Schritte der Veränderung zu bewirken und gleichzeitig friedenspolitische Grundhaltungen in der Gesellschaft glaubhaft zu vertreten. Wenn das nicht gelingt, sollten Bündnis 90/ Die Grünen die Option auf eine Regierungsbeteiligung vorerst aufgeben und mit aller Kraft den gesellschaftspolitischen Diskurs mittragen. Sie sollten Beispiele stützen, fördern und geben für die realen Möglichkeiten eines politischen Pazifismus. Uwe Helmke