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■ CD-ROM, das „Medium der Zukunft“, lockt mit immer schnelleren, schöneren und lauteren Bildern – aber der Weg zum Spielvergnügen wird durch Kaufzwang und Schrottware verbaut
Schon mal in ein Schwarzes Loch geplumpst? Man fühlt sich wie eine Spaghettinudel: Der Körper wird lang und länger, vom Scheitel bis zur Sohle sind es plötzlich ein paar tausend Kilometer, dieweil die Gravitationskraft weiter ins Unermeßliche steigt. Unvorstellbar? Am Computer läßt sich diese Erfahrung jetzt simulieren. Seit ein paar Wochen ist „Eine kurze Geschichte der Zeit“, Stephen Hawkings populärwissenschaftliches Buch, auch als „interaktives Abenteuer“ erhältlich. Auf CD-ROM soll nun in bewegten Bildern und satten Sounds verständlich werden, was im Buch doch ein wenig abstrakt anmutete. Ein Verkaufsschlager, wie das Buch vor zwölf Jahren? Mitnichten. Die CD-ROM, von der Industrie als Medium der Zukunft angepriesen, hat den Massenmarkt noch lange nicht erreicht. In Bremen tut sich der Handel entsprechend schwer. Nur wenige Fachgeschäfte und Kaufhäuser bieten CD-ROM in einem nennenswerten Sortiment an, die Umsätze sind bescheiden: „Die Wachstumsbranche, als die es uns suggeriert wurde“, heißt es im Fachhandel, „ist das sicher nicht.“
Wer in Bremen eine der Silberscheiben erwerben will, wird an den merkwürdigsten Orten fündig. Der Computerhändler hat Computersoftware auf CD-ROM, der CD-Verleih interaktive Musikvideos; das Kaufhaus hat alles und nichts, vom elektronischen Adreßbuch bis zu Sexbilderbüchern; der Buchhandel hat wenig – noch weiß man nicht recht, wohin mit dem ominösen „runden Buch“. Ausnahme: die „Storm“-Filiale in der City, wo man sich auf „Anwender-Software“ und Literarisches spezialisiert hat.
Dort ist auch die „kurze Geschichte der Zeit“ als CD-ROM erhältlich. Ein Highlight, was die grafische Qualität der Bilder angeht – dennoch: „Wir haben es erst ein paar mal verkauft“; anderswo läuft die Scheibe überhaupt nicht. Sind alle schon mit Hawking-Büchern versorgt, kein Interesse mehr am Schwarzen Loch und dem ganzen Rest des Universums?
Nein; gerade die vermeintliche Konkurrenz zwischen papiernem und digitalem Buch sieht man bei „Storm“ nicht. Hawkings Buch, sagt Fachverkäufer Carlos Ramos, sei eher „der beste Beweis dafür, diese alte These zu widerlegen“. Wer die CD-ROM kaufe, der habe das Buch meistens schon daheim im Regal stehen und erwarte nun mehr Anschauungs- und Hintergrundmaterial. Was das Publikum aber abhält, die CD-ROM in größerem Umfang zu kaufen, ist der Kaufzwang: Wer vorher mal kurz reinschauen will, um zu sehen, ob die auf der Packung angepriesenen Weltraum-Grafiken wirklich so toll sind, wird kategorisch abgewiesen – blättern verboten. „Da muß man die Katze im Sack kaufen“, heißt es beim Computerspielclub „Lap“.
Grund sind strenge Lizenzbestimmungen für Computersoftware,die eben auch für CD-ROM gelten. Wer im Laden auch nur die Cellophanhülle der Scheibe aufreißt, geht bereits einen Lizenzvertrag mit dem Hersteller ein. Einziger Ausweg: eine Workstation mit CD-ROM-Laufwerk direkt im Laden, wo das Fachpersonal kleine Einblicke ins digitale Buch gewähren könnte. Bei „Montanus aktuell“ und „Phonodrom“ will man im Herbst entsprechend aufrüsten. Aber selbst finanzstarke Häuser wie Karstadt scheuen die Investition: Wer soll das bezahlen?
Die Hersteller und Lizenzinhaber selbst nämlich stehen zwar gern „mit Demo-CDs zur Verfügung“. Aber: „Die Verlage sehen sich nicht in der Verantwortung, den Händlern Abspielgeräte zur Verfügung zu stellen“, heißt es bei der Bertelsmann-Vertriebsfirma „Media Sales“, einem der größten deutschen Anbieter.
So bleibt für die CD-ROM-Interessierten kaum eine Möglichkeit, sich über den wahren Nutzen des Produkts zu informieren. Was dringend nötig wäre. Denn unter den Massen silberner Scheibchen, die derzeit auf den Markt drängen, „gibt es eine Menge Schrott, der nicht Mal die Pressung wert ist“. Was Jörg Knies von „Lap“ über PC-Spiele sagt, gilt auch für den übrigen Markt. Hastig zusammengeschusterte Foto-CDs werden als Reiseführer verramscht; vor allem schwirren unzählige Sammel-CDs voll spezieller Softwareprogramme herum. Darauf finden sich nützliche Datenbeschleuniger, putzige Bildschirmschoner, aber eben auch Hilfsprogramme wie „EiSprung“ – ein elektronischer Geburtsplaner, der nicht eben alltägliche Anwendung finden dürfte.
Bleibt dem Ahnungslosen, die CD-ROM vor dem Kauf mal auszuleihen. Das aber ist ebenfalls mit ziemlichen Schwierigkeiten verbunden. Bei „Lap“ in der Faulenstraße werden Spiele zwar auf Leasing-Basis tageweise herausgerückt. Aber: Das erlauben die Verlage nur bei wenigen, zumeist älteren Produkten – und auch dann nur, wenn „dem Verlag kein Schaden entsteht und der Händler durch das Leasing keinen Gewinn macht“, sagt Geschäftsführer Knies. Folge: „Lap“ muß die Leasingraten vom Kaufpreis abziehen – mit jedem Ausleihen, wird z.B. der „Wing Commander III“ billiger für jenen Kunden, der das Ballerspiel letzten Endes wirklich kauft – so zumindest stellt es der Geschäftsführer dar.
Ein trickreicher Umweg, der sich für den Handel kaum lohnt. Und der bei anderen CD-ROM-Produkten – interaktiven Büchern, Lexika, PC-Utilities – schon gar nicht gangbar ist. Dort gelten noch schärfere rechtliche Vorgaben. So bleibt das „Medium der Zukunft“ den meisten Interessierten verschlossen. Entsprechend ist die schmale CD-ROM-Kundschaft „meistens schon gut vorinformiert“, heißt es bei „Storm“. Die Verkaufsschlager sind denn auch nicht die spektakulären Spiele und Bücher, sondern „Anwender-CDs“ wie der Verkaufs- Dauerbrenner „Linux“. Ein Betriebssystem, das mit vielen zusätzlichen Hilfswerkzeugen ausgestattet ist. Der Vorteil der CD-ROM: die kompakte Form und die große Speicherkapazität – was man bisher mühsam von 50 bis 60 Disketten einlesen mußte, ist nun auf einer Scheibe zu haben. Mit 680 Megabyte besitzt die CD fast das 500-fache Fassungsvermögen der alten 3,5-Zoll-Disketten.
Beim CD-ROM-Kauf über Fachwissen zu verfügen, das empfiehlt sich schließlich auch aus ganz praktischen Gründen. Mancher Kunde schlich schon traurig in den Laden zurück, weil sich das schöne elektronische Buch auf dem heimischen PC erst gar nicht öffnen ließ – „nicht kompatibel“, heißt dann meistens die Diagnose der Händler. 486er-Prozessor, 8 Megabyte Arbeitsspeicher, Grafikkarte, Soundblasterkarte, Quicktime-Programm für Windows... Wer nicht weiß, was er alles an technischen Voraussetzungen braucht, kann böse Überraschungen erleben. Und zurückgeben läßt sich die Scheibe natürlich auch nicht: Selbst davor stehen eisern die Lizenzrechte. tw
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