Von wenig Bildern und gefrorenen Tränen

■ Toneelgroep Desiree zeigen „adieu ... adio ...“ im Theater am Halleschen Ufer

Abschiednehmen ist die Würze des Lebens. Manchmal bleibt freudige Erleichterung, manchmal zerreißt es einem das Herz. Abschied, ja ja, ist ein bißchen wie Sterben.

Besonders gut nimmt das Kino Abschied – da kullern die Tränen, da bebt das Publikum. Solches ist vom Theater nicht zu erwarten. Daß aber eine Inszenierung zu diesem Thema so wenig zu erzählen hat, ist enttäuschend. Drei Schauspieler, eine Schauspielerin, eine Tänzerin und eine Sängerin zeigen ihre Improvisationen zum Thema Abschiednehmen, doch ihre Geschichten berühren sich selten.

Eine Stunde lang verfolgt man, wie die Inseln über Kunstgriffe notdürftig verknüpft werden: Die Tänzerin (Marion Amschwand) ist auf der Suche nach Trost, und Vivien Lee (Gesang, Klavier und Querflöte) hat stets ein Lied auf den Lippen, in das die anderen einstimmen können. Dazwischen tänzelt ein Boxer (Johannes Haag) Showeinlagen, die solange unerklärlich bleiben bis er dann endlich vom K. o. und dem Abschied vom Bewußtsein erzählt.

Keine Frage: Von der Gruppe „Desiree“ um Hans Man in't Veld wäre mehr zu erwarten, zumal das vorangegangene Stück über die Sehnsucht („Einmal ausatmen können“, seine Abschiedsinszenierung als Künstlerischer Leiter der Hamburger Kampnagelfabrik) jubelnd besprochen wurde. Der Abschied ging Hans Man in't Veld damals nahe. So entstand nun die Folgeinszenierung – mit DarstellerInnen aus den Niederlanden, aus Brüssel, Berlin, Hamburg und Bremen.

Diese Ortsangaben geben nur die halbe Wahrheit wieder, denn Kenneth Herdigein ist in Surinam geboren, Vivien Lee ist Chinesin und Marion Amschwand Schweizerin. Das Thema Abschied ist also mit dem „Desiree“-Ensemble bereits biographisch verbunden. Umso verwunderlicher, daß die Inszenierung etwas herzlos im aseptischen, einer Bahnhofshalle oder einem Flughafen ähnelnden Raum hängt.

Allein die kleinen persönlichen Geschichten haben ihre Kraft. So spielt Herdigein beispielsweise den Versuch, seine Tochter am Kindergarten zu verabschieden und schafft es, kein bißchen lächerlich zu wirken, als er unvermittelt in die Rolle der plärrenden Tochter schlüpft. Zusammen mit Man in't Veld spielt er auch das Wiedersehen alter Freunde, das sich letztlich als Abschied von der Freundschaft entpuppt. Dazwischen streut Man in't Veld kleine, wundersame Perlen – er erzählt von den gefrorenen Tränen der Pinguine und wie man sie mit „Sissy“ purzeln lassen kann. Doch solche Bilder und Momente sind selten. Schleppend zieht sich die Stunde, unerträglich gestalten sich die Tanzimprovisationen. Vom stockenden Schritt des Abschiednehmens wollen sie erzählen, doch sie sind eher Stolpersteine der Inszenierung. Da fällt der Abschied leicht.

Hans Man in't Veld: Ein Porträt

Über jugendliche Hitzköpfigkeit ist er hinweg, und das Reden von Wünschen, Träumen und Utopien ist seine Sache nicht. Er sitzt da, strahlt von innen und über seine anrührend jungen Apfelbäckchen, und erzählt zuallererst davon, daß ihn Theaterbesuche noch immer beglücken können, schildert das „schöne Gefühl“, zusammen mit anderen Menschen dieselben Emotionen zu teilen.

Hans Man in't Veld ist hierzulande vor allem seit seiner Zeit als Leiter der Hamburger Kampnagelfabrik bekannt. Seine Karriere begann während der Vietnam-Demos mit einer Kirchenbesetzung im niederländischen Haarlem. Zarte 19 war er damals. Im Gegenzug für die schnelle Räumung der Kirche erhielt er die Schlüssel einer leerstehenden Fabrik – dem künftigen Sitz der Theatergruppe „De Toneelschuur“, die noch heute existiert.

Wenige Jahre später gehörte Man in't Veld zu einer „Gruppe Unzufriedener“, die das inzwischen weltberühmte Amsterdamer „Het Werktheater“ ins Leben riefen. Die Gruppe besuchte Psychiatrien und Gefängnisse und arbeitete sowohl mit geistig Behinderten als auch mit Pauschaltouristen.

Theaterutopie? Aufklärung? Gesellschaftsveränderung? Hans Man in't Veld berichtet lieber von der Freude an Recherchen und an der Zusammenarbeit in der Gruppe. Bilder finden und mit Mitteln verschiedener Sparten „eine Sache für das Herz und die Seele erfahrbar machen“, so beschreibt er sein Konzept.

Heute, so der 48jährige, sei das niederländische Publikum für Theaterarbeiten, die auf Improvisationen fußen, weitaus offener als das deutsche, die holländische Off- Szene viel experimentierfreudiger und stimulierender. Dies führt er auf das dortige Förderungssystem zurück: Der Staat läßt sich die Off- Szene etwas kosten. Geförderte Gruppen zahlen ihren MitarbeiterInnen Tariflöhne. Die Folge: Staatstheaterleute können es sich leisten, im Offbereich zu arbeiten, während die erfahrenen Off-Macher – wie eben Man in't Veld – nicht des Geldes wegen ins Staatstheater abwandern. Petra Brändle

Toneelgroep Desiree: „adieu ... adio...“ Bis 19. 8. tägl. 21 Uhr. Nicht am 14. 8., Theater am Halleschen Ufer, Kreuzberg