Wand und Boden
: Am Rechner Gottes

■ Kunst in Berlin jetzt: Roppelt, Ihmels, Nitsch, Kowanz, Grubinger

Ein unscheinbarer Glasgang verbindet das Direktoriumsgebäude der Akademie der Künste mit den vorgelagerten Veranstaltungsräumen. Nur selten verirren sich Menschen dorthin, und auch BesucherInnen der Ausstellung von Thomas Roppelt werden erstmal durch einen kargen Innenhof geleitet, der zwischen Betonplatten und Gestrüpp mit Gräsern zugewachsen ist. In dieser schönen, starren Bauhaus-Welt, die wie unter einer Dunstglocke der fünfziger Jahre eingeschlossen wirkt, brennen schon am Tage einige von 20 in Reihe montierten, weißen Neonröhren, die der 1962 in Stuttgart geborene Medienkünstler installiert hat. Seine Arbeit RCB beschäftigt sich mit der Turing-Maschine, boolescher Algebra und dem Licht der Aufklärung, die Sehen und Sein nicht unterscheiden mag. Die Neons sind durch Kipprelais so geschaltet, „daß sie in der Lage sind, von Einzelereignissen ausgehende Impulse zu speichern, und in Binärnotation ablesbar zu machen“ – soweit die Gebrauchsanweisung für einen genormten Plastikschalter, den man hin- und herknipsen kann. Mit jedem Knopfdruck springt die nach dem Prinzip 1/0 verknüpfte Beleuchtung einen Schritt weiter. Nach 1.048.575 Malen ist die Zählkapazität erreicht, dann sind alle Lampen an. Damit dies Unternehmen beim Besucher nicht in allzu stumpfe Betriebsamkeit ausufert, hat Roppelt ausgerechnet, daß man dazu 12 Tage, drei Stunden, 16 Minuten und 19 Sekunden brauchen würde. Trotzdem stehen auf der Lichtanlage bereits 20.000 Impulse zu Buche. Wahrscheinlich hat der Künstler an der Mechanik getrickst, und alles Zeitliche ist nur Metapher – wie in der beigefügten Erzählung von B. Péret über sprechende Automaten im Folterkeller unter dem Papstpalast von Avignon. Dort ist alles Menschliche mechanisch, selbst wenn Stundenmädchen edlen Damen den Hintern versohlen. Bei Roppelt kommt noch Medientheorie hinzu. Da allerdings das Licht im Hellen brennt, wird schon jemand vor ihm an den Relais der Natur gerechnet haben müssen.

Bis 17. 9., täglich von 11 bis 19 Uhr, Hanseatenweg 10.

Nicht minder mythenbeladen geht Tjark Ihmels mit den Medien um. Seine Ink-Jet- Drucke im Dogenhaus Berlin, einem Ableger der gleichnamigen Leipziger Galerie, wollen den sogenannten „anderen Raum“ abbilden. Zu diesen Erkundungen in Sachen Virtualität, die als buntes Flirren auf der Leinwand erscheinen, benutzt der Grafiker und Theologe aus Leipzig ein Farbkopiergerät, denn „am Anfang steht die Kopie“ und „am Ende steht ein Original“, das an Bildstörungen beim Fernsehen und ozeanische Fotografie erinnert. Dazwischen werden allerhand Meilensteine der Kunstgeschichte durcheinandergeworfen, Psychisches mit Handwerk vermischt und das sächsische Künstler-Ego auf die Höhe der Theorie gebracht. Das Informelle zählt hier laut Info zu den Ausgeburten der Postmoderne, aus „archaischen Strukturen“ winkt plötzlich der „spezielle Zustand“ des Menschen „im Hier und Jetzt“ herüber. Nichts ist unmöglich, wenn der Geist erst einmal auf Reisen ist. Ganz konkret nimmt Ihmels die Grauschleier, die als Eigenwert bei extremen Vergrößerungen entstehen, manipuliert sie am Computer, bläst sie zu unkenntlichen Rastern auf und druckt das ganze dann auf Folien. Das Ergebnis, blau schimmernde Wölkchen und flächiges schwarzes Gekrittel, heißt bei ihm „Kosmischer Realismus“ und ist doch nicht weit von Fehlversuchen aus der Siebdruckwerkstatt entfernt. Der Kosmos, der hier als Beispiel für „innere Befindlichkeiten“ herhalten muß, ergibt sich aus technischen Mängeln. Wahrscheinlich wäre diese Betrachtung für Ihmels nicht zeitgemäß genug, vielleicht hat er auch nur die Siebziger-Jahre-Kopierarbeiten von Joseph Beuys übersehen, deren Motive nicht minder unscharf und ebenso mythisch waren – Vogelknochen in der Wüste. Bei Ihmels bilden Buchstaben die Grundlage. Wenigstens da stimmt der Derrida.

Weltweit Ewigkeit, bis 26. 8., Do und Fr 14 bis 19, Sa 11 bis 14 Uhr, Auguststraße 63.

„Drei Generationen aus Österreich“ verspricht die Ausstellung im NBK, mindestens zwei sind auch deutlich zu erkennen. Hermann Nitsch klatscht eimerweise rote oder schwarze Farbe auf die Leinwand, und Brigitte Kowanz dichtet mit Glühbirnen in Buchstabenform Sätze frei nach Wittgenstein zusammen: „Licht ist, was man sieht.“ Nur Eva Grubinger steht ein bißchen allein im Raum mit ihrem Internet-Projekt. Eine Computerarbeit mehr macht aus der Wiener Schule noch kein Medienzentrum. Während Nitsch auf die traditionelle Verbindung von Bildträger und Malprozeß eingeht, indem er quasi als Beiprodukt des Mysterientheaters die Blutaktionen auf Malerei überträgt, und sich bei Kowanz der Körper im Energiekreislauf aus der Steckdose auflöst, gelangt Grubinger nicht über die Synthese der Sixties mit den Seventies hinaus. Ihr „Netz-Bikini“ ist die Weiterführung von Aktionismus und Mediengeschichte – jeder darf sich für den Strandgebrauch das Schnittmuster für einen Zweiteiler aus gazeartigem Stoff ausdrucken lassen. Doch schon die drei Nähmaschinen als offenbar integraler Bestandteil der Installation sind nicht an Steckdosen angeschlossen. Alles bleibt nur symbolisch nutzerfreundlich. Statt dessen kann man im Internet herumirren, Museums- und Kommunikationszusammenhänge anklicken oder sich zumindest ein Bild vom versprochenen Bikini machen. Drei Fotos zeigen ein nett schlurfiges Modell, das Gummiflossen trägt. Daß die Tauchermaske auf dem letzten Bild in der Reihe an einen Datenhelm erinnern soll, ist bei aller Liebe zur Ironie ein Wink zuviel.

Bis 17. 9., Di, Do 12 bis 20, Mi, Fr 12 bis 18, Sa 12 bis 16 Uhr, Chausseestraße 128/129. Harald Fricke