Auftritt für Bier und ein Essen

Tingel-Tangel-Bands haben keine Chance aufs große Geld. Die Konkurrenz aus dem Osten setzt den Berliner Gruppen zu und drückt die Preise  ■ Von Silke Focken

Musik aus der Dose und Techno-Beat per Computerknopfdruck, möglichst mit Laserlightshow – da liegt heute der Trend. Für handgemachte „Mugge“, selbstkomponierten Rock oder stimmungsvolle Schwofmusik sehen die Zeiten eher trübe aus. Während Marusha und andere CD-WechslerInnen im Tankgirl- Outfit kräftig absahnen, bleibt den Tingel-Tangel-Bands auf ihren Streifzügen durch Musikclubs, Kneipen, Tanzbälle und Hochzeitsfeiern statt der großen Kohle häufig nur ihr Idealismus.

„Es gibt Leute, die drücken kurz auf einen Knopf, wir üben tagelang einen Song. Für uns ist die Situation katastrophal und wird immer schlechter“, klagt der 40jährige Bandleader Colin Dorn. Er hat vor zehn Jahren als Profi-Musiker mehrere CDs und LPs herausgebracht und verkauft heute Tomaten und Radieschen. „Wenn man nicht gerade kommerzielle Tanzmusik macht, kann man von der Sache nicht leben. Diesen Kompromiß würde ich aber nie eingehen“, erzählt der gebürtige Brite, der jetzt nur noch nach Feierabend bei der vierköpfigen Rockband „White Clouds“ singt. Die Konkurrenz in der Hauptstadt ist immens. Die Veranstalter und Clubbesitzer könnten deshalb die Gagen kräftig nach unten drücken. „Jeder Musiker ist froh, wenn er überhaupt ein Stück vom Kuchen abbekommt“, weiß Colin. In den vergangenen Jahren hätten sich die Abendgagen fast halbiert.

Daran ist laut Colin indirekt auch die Öffnung der Grenzen nach Osteuropa schuld. „Die Maueröffnung war für die Musikszene gut und schlecht“, meint er. Die OstberlinerInnen seien hungrig nach Musik gewesen und konnten sich für Life-Konzerte und Clubnächte viel mehr begeistern als die Wessis. Mit dem Mauerfall sei aber auch eine Musikerwelle aus Osteuropa, vor allem aus Polen, nach Berlin geschwappt: „Die drücken jetzt die Preise.“

Zuerst kamen die MusikerInnen aus dem ehemaligen Honi- Reich. „Die hatten noch ein ganz anderes Verhältnis zum Westgeld“, erklärt der „Schwofmusiker“ und Saxophonist Lutz Dittmann. Während seine Band „Bassakkord“ üblicherweise für etwa 800 Mark am Abend zum Tanz aufspielte, seien die Ossis schon für 300 Mäuse auf die Bühne gestiegen. „Häufig waren die viel besser ausgebildet als die Westler, weil Kapellen in der DDR eine Lizenz brauchten“, erzählt der 36jährige.

„Das war aber nur ein kurzer Trend“, meint Karl-Heinz Tyc vom Künstlerdienst der Bundesanstalt für Arbeit. Mittlerweile gebe es keine Ost-West-Preisunterschiede mehr. Viele Veranstalter hätten bei den DDR-Bands schnell mitgekriegt, daß das Liedrepertoire nicht den Erwartungen des West-Publikums entsprach.

Auch die „Invasion der Osteuropäer“ kann Tyc nicht bestätigen. Oft hätten diese keine Arbeitserlaubnis und würden mit ihrem Touristenvisum nur als Straßenmusikanten auftreten. „Es gibt immer wieder Kneipiers, die Ostbands für zwei Bier und ein Essen spielen lassen“, ergänzt Kollege Thomas Schwarz.

Trotzdem sieht's für die Zunft der Klampfen- und AkkordeonspielerInnen nicht gerade rosig aus. Es gibt kaum noch Profis, weil der Verdienst zu gering ist. Hobbymusiker spielen häufig nur noch für das Finanzamt, weil sie ihre Unkosten nicht absetzen können.

„Dem Publikum fehlt einfach die Kohle in der Tasche“, meint Schwarz. Seit der Maueröffnung würden viele BerlinerInnen ihre Freizeit häufiger im Umland verbringen. „Das Angebot an Bands ist wesentlich größer als die Nachfrage“, sagt Schwarz. Zudem gebe es für MusikerInnen keine Tarife.

„Die Musikszene ist total runter. Viele Bands bezahlen die Clubbesitzer, damit sie spielen dürfen“, bestätigt auch Andrej Hermlin von der Pankower „Swing-Dance-Band“. Russen und Polen würden häufig für umsonst auftreten. Der 29jährige Andrej hat an der Hans-Eisler-Schule in Ost-Berlin eine Klavierausbildung genossen und war selber Besitzer einer DDR-Lizenz. Als Swing- Musiker habe er Glück, weil es nicht an Angeboten mangele. „Swing ist wieder in.“ Die Band spielt bei Straßenfesten, der PDS, der Bundeswehr, im Fernsehen und in Luxushotels. Verantwortlich für die heutige Misere seien letztlich auch die Veranstalter, die die Musiker zu Dumpingpreisen einstellen. „Die bezahlen das Catering und die Putzfrau, nur die Musiker sollen von Luft und Wasser leben“, ereifert sich Andrej: „Da regiert die freie Marktwirtschaft.“