■ Wer alles Nichtmilitärische als Nichtstun denunziert, muß selber handeln. Ludger Volmer antwortet Joschka Fischer:
: Greif zur Waffe, fahr nach Sarajevo!

Warum hat Tudjman Joschka Fischer nicht Bescheid gesagt, daß er die Krajina angreifen wird? Joschka hätte sich viel Arbeit und uns einen unnötigen Schlenker in einer längst begonnenen Debatte ersparen können. Tudjman wußte offenbar nicht, daß die Grünen jetzt eine bedeutende Kraft im Bosnienkrieg sind, fähig sogar, militärische Schläge einzufordern. Und er hat nicht damit gerechnet, daß die Grünen sogar so flexibel geworden sind, je nach Gefechtsentwicklung in kürzester Zeit ihre Grundüberzeugungen zu wechseln. Aber jetzt weiß alle Welt: Die deutschen Grünen sind bereit, die Schutzzonen bis zum letzten Franzosen zu verteidigen. Denn selbst teilnehmen wollen sie nicht – wegen der Vergangenheit.

Dies zu den ersten drei Widersprüchen in Joschkas Papier. Ich bitte den Zynismus zu entschuldigen. Aber die, die ein militärisches Eingreifen fordern, haben kein Monopol auf Emotionalität. Insbesondere dann nicht, wenn sie alle anderen diskreditieren – als Nichtstuer, als Vertreter symbolischer Politik, die nicht am Kern der Gewaltspirale rühren. Aber warum schaut Joschka in Sarajevo hin und in Grosny weg? Warum nicht der Ruf nach der Verteidigung dieser Stadt, bis vor kurzem existent und nun ausradiert? Und was ist seine Forderung nach Verteidigung der Schutzzonen anderes als ebenfalls symbolische Politik – in entschlossen scheinender Rhetorik? Als ob es in seiner oder, falls er die Partei geschlossen hinter sich hätte, in unser aller Macht stünde, die zerstrittene Kontaktgruppe zu einer gemeinsamen Strategie zu bewegen. Wer alles Nichtmilitärische als Nichtstun denunziert, der darf auch nicht bei rhetorischer Kraftmeierei stehenbleiben, der muß selber konsequent sein, zur Waffe greifen und nach Sarajevo eilen.

Hier sein vierter Widerspruch. Richtig analysiert er die nationalen Interessen der Westmächte und Rußlands sowie ihren mangelnden Willen zu einer wirklichen Lösung. Eine Analyse übrigens, die nicht neu, sondern in Kurzfassung in allen grünen Resolutionen zu finden ist. Warum aber sollen die Großmächte ausgerechnet jetzt auf grünen Rat hin den gemeinsamen Willen zu einer Militäraktion aufbringen? Wenn bei den Großmächten der gemeinsame politische Wille von Anfang an da gewesen wäre, dann hätten auch nichtmilitärische Mittel Erfolg gebracht: eine einheitliche Diplomatie, unterstrichen durch ein effektives Wirtschaftsembargo. Dieser Meinung war auch Joschka immer. Warum aber sollen sich nun die politischen Kräfte, die vor der verhängnisvollen Anerkennung der ehemaligen jugoslawischen Teilstaaten gewarnt haben, in Haftung für diese falsche Politik nehmen lassen?

Es geht dabei nicht ums Rechthaben. Wir hätten uns gerne geirrt. Sondern es geht um die verantwortungsethische Begründung, daß auch jetzt der Wink mit der Militärintervention nichts bringt. Er macht den Hoffnungslosen nur falsche Hoffnungen, suggeriert eine internationale Einmischung zu ihren Gunsten, die nicht kommen wird; haben sich doch die wirklich Mächtigen schon 1991 entschieden, Feuer und Schwert darüber entscheiden zu lassen, wer in Zukunft die regionalen Ordnungsmächte auf dem Balkan sein sollen.

Es ist nicht moralischer, den Kopf auszuschalten und die Gefühle unmittelbar sprechen zu lassen. Wer würde nicht am liebsten dazwischen schlagen, wer, der sich seit Jahren mit dem Thema befaßt, verzweifelt nicht vor Wut und dem Unvermögen, eine wenigstens theoretisch schlüssige Konzeption zu finden? Gefühle, Wut und Interesse können das Motiv zum Handeln geben, doch über den Weg entscheiden muß dann der Kopf. So wie die Vertreter nichtmilitärischer Lösungen ständig unter Nachweiszwang gesetzt werden, so dürfen sich auch die Interventionisten nicht dem Beweis der Triftigkeit ihres Vorschlags entziehen. Es geht nicht an, der Partei die Knobelaufgabe „Verteidigt die Schutzzonen“ hinzuwerfen, ohne selbst einen Vorschlag zur Durchführung zu machen.

Denn dann würde herauskommen, daß eine deutsche Nichtbeteiligung nicht mehr begründbar wäre. Die maximale Eskalation – die Hauptgefahr eines deutschen Eingreifens – wäre auch so schon erreicht. Das aber hieße, man müßte auch dem Aufbau einer schnellen Eingreiftruppe zustimmen, die zu solchen Einsätzen in der Lage ist, und könnte den Kern von Rühes Militärpolitik nicht mehr ablehnen. Grüne Zustimmung zum Verteidigungshaushalt? Ist es dies, was Joschka will? Eine Außenpolitik, die auch mit der Union ginge?

Und woher nimmt er die Sicherheit, daß die Kesselschlacht um die Schutzzonen überhaupt so organisiert werden kann, daß sie gewonnen wird? Besteht nicht immer noch die Gefahr der Eskalation? Kann eine solche Militäraktion eingegrenzt bleiben? Wird sich nicht Belgrad dann wieder militärisch an die Seite der bosnischen Serben stellen? Was macht Rußland? Bleibt es neutral, oder bekommen die russischen Nationalisten Aufwind, die auf militärische Unterstützung des serbischen Brudervolkes drängen? Will Joschka eine der größten Luftlandeoperationen der Weltgeschichte, um Truppen in die Zonen zu schaffen? Sollen sie als Invasionsarmee an der Küste landen und sich durchschlagen? Wie viele hunderttausend Soldaten braucht man, wer soll sie stellen, wie viele und wer soll sterben? Ist es nicht ein Trick, die konkreten Folgen des militärischen Eingreifens nicht durchzubuchstabieren, weil dies den Nachweis des Unsinns brächte, während die vage Forderung, untermauert mit historischer Analyse und viel Moralismus, den Anschein des Gegenteils erzeugt?

Am liebsten würde ich sagen: Mach mal! Wenn es nicht um Leben und Tod ginge. Mich zurücklehnen und sagen: Schön, wir Antiinterventionisten streichen die Segel, wir haben es satt, uns anpöbeln zu lassen. Grünes Licht für die Intervention, schlagt los, führt endlich Krieg! Beweist, wie es geht! Nerven bewahren wird nicht gelohnt, man gilt als gefühlskalt.

Sorry, es wird wirklich immer schwerer, nicht zynisch zu sein. Da zieht der eigene Fraktionsvorsitzende alle Register, um die militärische Option zum selbstverständlichen Bestandteil grüner Außenpolitik zu machen, während sich rot-grüne Sympathisanten bei der SPD wie Lafontaine und Verheugen auf Positionen zubewegen, die ihr murrender Chef an uns Grünen immer als falsch kritisiert. Während diese das Militärische strikt auf die Landesverteidigung begrenzen wollen, will es Joschka bei den Grünen in unbestimmter Form einführen. Es darf gefragt werden, warum.

Eine überfällige Debatte zu provozieren, darum kann es nicht gehen. Die ist längst im Gange, wurde nur in der Öffentlichkeit noch nicht hinreichend registriert. Sie dreht sich um die Frage, unter welchen Umständen die grundsätzlich schon bestehende Befürwortung von friedenserhaltenden Blauhelm-Missionen eine deutsche Beteiligung möglich und nötig macht. Und um die Frage, wie wir praktisch mit dem Problem umgehen, daß wir die Nato einerseits für historisch überholt halten, aber selbst per Beschluß einer rot-grünen Koalition nicht abschaffen können und ein einseitiger Austritt aus verschiedenen Gründen nicht ratsam ist. Hier zeichnen sich neue pragmatische Perspektiven auf der Basis der bestehenden Grundsätze ab. Mit Sicherheit wird die Außenpolitik kein Punkt sein, an dem eine rot-grüne Koalition in Bonn scheitern könnte. Das ist jetzt schon absehbar. Deshalb muß kein grünes Tabu gebrochen werden.

Will also der, der gern erster grüner Außenminister würde, vielleicht etwas anderes? Will er vielleicht das bisherige Verständnis von Gewaltfreiheit angreifen, ohne eine neue plausible Systematik vorzuschlagen, weil er überhaupt gegen eine systematische, programmgebundene Außenpolitik ist, die einem Minister nur Fesseln anlegt? Will er den leidenschaftlichen Diskurs, der mit Beschlußlagen endet, in dem sich ein gesellschaftliches Projekt spiegelt, ersetzen durch die einsame Entscheidung? Sollen die Grünen zur Präsidialpartei werden, wo beliebig diskutiert werden darf, aber entscheiden tut nur einer?

Oder ging es nur darum, sich zu einem Zeitpunkt, wo der Abzug der Blauhelme absehbar und das folgende Grauen vorstellbar war, rechtzeitig abzusetzen, um hinterher zu denen zu gehören, die angeblich eine Lösung parat hatten?

Wir rätseln, weil der Meister uns nur wenige Zeichen gibt. Wahrscheinlich habe ich alles mißverstanden, fehlinterpretiert. Schön wär's. Es bleibt zu hoffen, daß Joschkas Vorstoß nicht wieder Blockaden erzeugt und die überaus notwendige Weiterentwicklung unserer Außenpolitik gefährdet. Er darf nicht eine Abwehr auslösen, die blind macht für die Defizite unserer Politik und die jede Modifizierung als Revision empfindet. In der Außenpolitik geht es mehr als sonst um Interessen. Wir wollen an die Stelle einer internationalen Politik im nationalen Interesse eine deutsche Politik im internationalen Interesse setzen. Nicht alle unsere Einzelpositionen halten diesem Anspruch in der Praxis stand. Diskussion also tut not. Sie hatte mal gut begonnen.