Antiquiert, männlich und lustfeindlich

■ Die subjektive Sicht einer chronisch Leidtragenden des Ladenschlußgesetzes

Das antiquierte Ladenschlußgesetz ist eine typisch männliche Erfindung, die aus einer Zeit datiert, als die Herren der Schöpfung es für naturgegeben hielten, daß sie die alleinigen Ernährer sind. Inzwischen ist jedoch die Mehrheit der Frauen berufstätig (59,3 Prozent West, 73 Prozent Ost). Aber leider sind es auch heute nicht die Männer, die in der Mittagspause rasch im nächsten Supermarkt Schlange stehen, um Milch für die Kleinen zu kaufen, sondern die Frauen: zusätzlicher Streß für Berufstätige.

Und wer will schon freiwillig fünf vor sechs zu Aldi rennen, um abgepacktes Brot und eingeschweißten Käse zu besorgen – obwohl man viel lieber in den Ökoladen ginge oder ins Fischgeschäft, aber weder das eine noch das andere gibt es in unmittelbarer Nähe des Arbeitsplatzes. Um 18 Uhr, spätestens 18.30, ist alles dicht, dann bleibt nur die Tankstelle.

International liegt Deutschland mit seinem Ladenschluß knapp vor Irland, wo die Bürgersteige bereits um 17 Uhr hochgeklappt werden. Ich will an dieser Stelle gar nicht erst von paradiesischen Zuständen der USA träumen, wo es normal ist, rund um die Uhr einzukaufen. Wer gerade vom Urlaub aus Frankreich oder Italien zurückkommt, wird es dort genossen haben, abends einen Einkaufsbummel zu machen oder einfach durch bevölkerte Straßen zu flanieren.

In Deutschland ist dagegen selbst der sogenannte lange Donnerstag wegen der Borniertheit vieler Geschäftsleute ein Flopp. Selbst im Zentrum der Hauptstadt muß man schon Glück haben, um Donnerstagabend einen Buchladen zu finden, der wirklich bis 20.30 Uhr offen ist. Drumherum: tote Hose, leere Bürgersteige.

Die gleiche Ignoranz der Geschäftsleute zeigte sich während der Verhüllung des Reichtages. Per Sondergenehmigung konnten die Läden bis 22 Uhr öffnen. Der Versuch, abends einen Einkaufsbummel zu machen, scheiterte indessen schnell: Ein Buchladen hatte auf, ein Billigklamotten-Geschäft – sonst nichts.

Es ist schon ein Phänomen, wie die geschlossene Front der Ladenschlußmafia mich vom Geldausgeben abhält. Viele Einkäufe finden schlicht nicht statt, weil ich mich weigere, mich nach der Arbeit in den Kurz-vor-sechs-Streß zu stürzen. Restaurants und Tankstellen profitieren. Und die großen Versandkonzerne, denn gerade für alleinerziehende berufstätige Mütter ist der Einkauf per Katalog eine bequeme und billige Alternative. Vermutlich ist in diesen Branchen ein Teil der Lobby gegen ein neues Ladenschlußgesetz zu finden.

Bleibt der freie Samstag als letztes Refugium für den Einkauf. Wer gerne mal ausschlafen, genüßlich frühstücken und Zeitung lesen will, muß gegen den Sekundenzeiger kämpfen. Den Samstagvormittag in einem Supermarkt, Kaufhaus oder – noch besser – bei Ikea zu verbringen, zählt bekanntlich zu den größten aller Vergnügen. Die wärmende Enge beweist immerhin, daß ich mit meinem Problem nicht allein dastehe. Konsequenz: Brot und Käse werden im Ökoladen gekauft, Gemüse und Obst beim Türken, und dabei bleibt's. Der Sommerschlußverkauf findet ohne mich statt.

Wo die Ladenschlußmafia dem Einkaufen jede Freude und Lust nimmt – dabei ist das Flanieren, das Gucken, der Besuch im Café zwischendurch mindestens genauso wichtig wie die Ware –, bleibt das Geld eben im Beutel.

So ist das Einkaufen hierzulande eine ätzende Notwendigkeit geworden, die hektisch in den Tagesablauf gequetscht wird. Dabei wäre dem leicht abzuhelfen: mit der ersatzlosen Streichung des Ladenschlußgesetzes. Aber das wäre zuviel Freiheit für ein Land, das die preußische Tradition behördlicher Regelungen über alles liebt. Beate Seel