Die Bundesregierung will das alte Ladenschlußgesetz endgültig kippen. Längere Öffnungszeiten sollen Konsum und Umsatz ankurbeln, Arbeitsplätze schaffen. Ein neues Ifo-Gutachten befeuert die Debatte. Gewerkschaften und Mittelständler wehren

Die Bundesregierung will das alte Ladenschlußgesetz endgültig kippen. Längere Öffnungszeiten sollen Konsum und Umsatz ankurbeln, Arbeitsplätze schaffen. Ein neues Ifo-Gutachten befeuert die Debatte. Gewerkschaften und Mittelständler wehren sich

Ladenschluß: Wem die Stunde schlägt

Der Streit um die Ladenschlußzeiten ist fast so alt wie das (noch) geltende Gesetz von 1956. Schon Ende der 50er Jahre klagten Frauen und Unternehmer vor dem Bundesverfassungsgericht gegen zu kurze Öffnungszeiten. Umsonst. 40 Jahre war am Ladenschluß nicht zu rütteln. Als vor sechs Jahren der lange Donnerstag eingeführt wurde, kam das schon einem mittleren Erdbeben gleich. Nun soll alles anders werden.

Gestern stellte das Münchener Ifo-Institut sein im Auftrag der Bundesregierung erarbeitetes Gutachten vor. Kohl und seine Mannschaft wollen – gestärkt durch die Expertise – noch im August erste Gespräche mit dem Handel führen. Ein ähnlicher Versuch in der vorangegangenen Legislaturperiode scheiterte am Widerstand der Handelslobby. Jetzt, so heißt es, will sich die Regierung stark an den Empfehlungen der Wirtschaftsexperten orientieren.

Die Ifo-Gutachter empfehlen in ihrer 500-Seiten-Schrift, Geschäfte an Werktagen von sechs bis 22 Uhr, samstags bis 18 Uhr zu öffnen. Eine besondere Lizenz soll den Nachtverkauf gestatten. Auch die eherne Begrenzung der Verkaufszeit auf nicht mehr als 68,5 Stunden soll fallen. Alles zusammen eine echte kleine Revolution.

Längere Ladenschlußzeiten bringen nach Meinung der Wirtschaftsforscher nicht nur den Verbrauchern Vorteile. Große Warenhaus-Ketten, die zu den Befürwortern längerer Öffnungszeiten zählen, würden ebenso profitieren wie kleine und innovative Geschäfte. Bis zu 50.000 zusätzliche Arbeitsplätze könnten angeblich geschaffen werden. Die Umsatzsteigerung für den geplagten Einzelhandel werde innerhalb von drei Jahren zwei bis drei Prozent erreichen, prognostiziert Ifo. Wirtschaftsminister Rexrodt erwartet gar ein Umsatzplus von 20 Milliarden Mark jährlich. Mittlere und kleine Einzelhändler hätten mit leichten, aber „nicht existenzbedrohenden“ Einbußen zu rechnen.

Nach einer Umfrage von „Markt intern“ sprechen sich denn auch 80 Prozent der Mittelständler für die Beibehaltung geltender Öffnungszeiten aus. Sie fürchten, daß sie aus Kostengründen nicht genügend Arbeitskräfte einstellen können, um die Zeit nach 18.30 Uhr abzudecken. Auch der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE) will, daß alles bleibt wie es ist. Verbandspräsident Hermann Franzen hat sogar die Teilnahme an dem Gespräch mit der Bundesregierung abgelehnt. Deutlich Front gegen die Pläne der Bundesregierung machen die Gewerkschaften. „Drei Millionen Verkäuferinnen werden für ihren Feierabend kämpfen“, drohte Franziska Wiethold für die Gewerkschaft Handeln, Banken und Versicherungen (HBV) an. „Mit Zähnen und Klauen“ will die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft das „im Tarifvertrag festgelegte Arbeitsende von 18.30 Uhr“ verteidigen. „Das Ifo-Gutachten ist familienfeindlich“, schimpft Sprecher Ingo Schwope.

So rigoros wie ihre Gewerkschaft scheinen die VerkäuferInnen den Änderungen nicht gegenüberzustehen: Laut Gutachten sind von 554 befragten Mitarbeitern im Einzelhandel 27 Prozent willens, grundsätzlich auch bis 20 Uhr zu arbeiten, 23 Prozent wollen unter bestimmten Bedingungen länger im Geschäft sein. Samstags sind dazu grundsätzlich 40 Prozent bereit, 44 weitere Prozent unter bestimmten Bedingungen.

Von Wirtschaft, Politik und Verbrauchern werden die Empfehlungen für längere Öffnungszeiten überwiegend positiv gesehen. Der Deutsche Industrie- und Handelstag und der Zentralverband des Deutschen Handwerks sehen in dem Papier eine gute Basis für eine Gesetzesänderung.

Der CSU-Bundestagsabgeordnete Ernst Hinsken und sein FDP-Kollege Herman Otto Solms setzen sich für die „Korridorlösung“ ein. Danach können die Händler innerhalb der Gesamtöffnungszeit von 68,5 Stunden frei entscheiden, wann sie öffnen. Dagegen plädiert FDP-Chef Wolfgang Gerhardt für grenzenlose Öffnungszeiten auch nachts und an Sonntagen. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Uwe Jens befürwortet eine Liberalisierung, verhehlt aber nicht, daß in der SPD erhebliche Widerstände gegen längere Öffnungszeiten bestehen. Bei den Grünen ist das Thema heftig umstritten.

Bundeswirtschaftsminister Rexrodt (FDP), der schon im Vorfeld nichts unversucht ließ, um als Vorkämpfer für die Liberalsierung des Ladenschlusses Profil zu gewinnen, nannte die Ifo-Ergebnisse gestern ein „ehrgeiziges Ziel“. Doch an der Neugestaltung der Öffnungszeiten führe kein Weg vorbei. Bedeckt hält sich Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU), bei dem die Federführung für eine Änderung liegt. Lapidar begrüßte sein Haus das Gutachten als „einen wichtigen Beitrag zur öffentlichen Diskussion“. Karin Nink