Fischer, Schoppe & Co. an die Front!

■ Offener Brief

Nach Schätzungen von Hilfsorganisationen wurden in einem Zeitraum von nur zwei Monaten allein in Ruanda 500.000 Menschen getötet. Weltweit wurden 1994 41 Kriege geführt, bei denen, nach vorsichtigen Schätzungen, mehr als 6,5 Millionen Todesopfer und ein Vielfaches an Verwundeten zu beklagen waren. Insgesamt wurden seit 1945 weltweit 187 Kriege geführt. Trotz eines weltweiten Überflusses an Nahrungsmitteln verhungern oder sterben an vermeidbaren Krankheiten täglich mehr als 35.000 Kinder in den Ländern der marktwirtschaftlichen Peripherie.

In diesem Zusammenhang ist der Kern der gegenwärtigen Militärinterventionsdebatte für Herrn Fischer die eigene Karriere als BRD-Außenminister in einer rosa-grünen Koalition. Bedingung dafür ist unter anderem die Nato – freundliche Weichspülung der Grünen, denn eine Partei, die die Nato (mit atomarer Erstschlagsoption) auflösen, den Waffenexport stoppen und die Bundeswehr beziehungsweise die Armeen abschaffen will, ist in der spätkapitalistischen BRD ein etwas problematischer FDP-Ersatz.

[...] In einer perversen Kriegssituation, in der nicht nur UN- Schutzzonen erobert werden, sondern bisher schon insgesamt mehr als 3,2 Millionen Menschen vertrieben wurden (darunter laut Braunschweiger Zeitung vom 25.7.95 auch über 500.000 Serben aus Bosnien und Kroatien), ist der Wunsch, etwas zu tun beziehungsweise helfen zu wollen, natürlich verständlich. Und scheinbar bietet eine Militärintervention den Ausweg an.

Zwar war der neue Kriegsschauplatz in der Krajina durch den Aufmarsch von rund 100.000 kroatischen Soldaten durch Nato- Spionagesatelliten frühzeitig erkennbar, doch wurde die Öffentlichkeit erst kurz vor Ausbruch der Kämpfe informiert. Die Vertreibung von mehr als 150.000 Menschen aus der, seit Anfang des 16. Jahrhunderts mehrheitlich von Serben bewohnten, Krajina bedeutet ein weiteres Kriegsverbrechen in diesem grausamen Krieg. Die grünen MilitärinterventionistInnen werden durch den neuen Kriegsschauplatz bei ihren Sandkastenspielen gestört, denn laut Joschka Fischer sollen einzig und allein UN-Schutzzonen verteidigt werden. Die Frage, wer intervenieren soll, wird geflissentlich übergangen. Bei einer Balkanintervention rechnet US-General McGaffrey mit 400.000 Soldaten, die mindestens ein Jahr lang nötig wären. General Lewis McKenzie, zeitweise Chef der UNO-Truppen in Sarajewo, veranschlagt sogar 1.000.000 Soldaten für eine „effektive Militäraktion“. Dabei wird nach Schätzungen des ehemaligen Befehlshabers der UNO-Truppen in Ex-Jugoslawien, General Philippe Morillon, mit bis zu 100.000 Toten allein auf seiten der Alliierten gerechnet.

[...] Inwieweit die Deutschen mit „einer demokratischen Armee, die in ein Bündnis demokratischer Staaten eingebunden ist“, in der Vergangenheit nicht hätten zum Beispiel in den Vietnamkrieg eingreifen sollen („Vietnam in die Steinzeit zurückbomben“), soll hier nicht weiter diskutiert werden. Damals, 1968, war jedoch für das leider viel zu früh verstorbene Mitglied der Grünen, Rudi Dutschke, klar: „Die Nato ist die organisierte Zentrale des Imperialismus in Mittel- und Westeuorpa zur Verhinderung der Emanzipation der produzierenden Massen.“ Heute hingegen fordert Waltraud Schoppe: „Wir sollten an allen Balkaneinsätzen der UN teilnehmen.“ (Wolfsburger Allgemeine Zeitung vom 3.8.95). „Und vielleicht sind wir sogar eine große, schweigende Minderheit, die neben den lautstarken ,Pazifisten‘ nur nicht wahrgenommen wird.“ (WAZ vom 3.8.95)

Sollte die UNO also tatsächlich mit Bodentruppen die UN-Schutzzonen verteidigen wollen, so erwarten wir von den grünen MilitärinterventionistInnen vollen Kampfeinsatz. Denn Befehle an Soldaten zum Töten und Sterben zu erteilen ist einfach, selber Entsprechendes zu tun erfordert wenigstens Mut!

Wir stehen dafür jedenfalls nicht zur Verfügung. Christoph Sündermann,

Mitglied im KV Bündnis 90/

Grüne, Braunschweig, sowie

neun weitere Mitglieder und

Sympathisanten von Bündnis

90/Grüne