Auftrag statt Quote

■ Das nichtkommerzielle Fernsehen der USA weigert sich, Zugeständnisse an den Zuschauergeschmack zu machen

„Zero out“ – diese schöne, von Newt Gingrich stammende Wortbildung steht für die Zukunft des öffentlich geförderten Fernsehens, wie sie sein „Vertrag für Amerika“ vorsieht: die Privatisierung des nichtkommerziellen Fernsehens und Streichung aller staatlichen Zuwendungen. Unter dem Eindruck der ABC/Disney- und CBS/ Westinghouse-Deals jedoch stimmten die Abgeordneten beider Parteien im Repräsentantenhaus für die Weiterfinanzierung des nicht-kommerziellen Fernsehens. 1998 sollen die Staatsmittel noch 240 Millionen Dollar betragen – 15 Prozent weniger als 1994. Der Überlebenskampf für den Public Broadcasting Service (PBS) ist damit nicht vorüber.

Im Gegensatz zu den Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland hat PBS nämlich den Kampf mit den Privaten nicht aufgenommen. „PBS lehnt Kompromisse bei der Programmqualität ab“, heißt es ganz offiziell. Eine der Säulen des Programms ist das Kinderfernsehen mit den international vertriebenen Serien „Sesame Street“ und „Barney“. Daneben gibt es tagsüber breite Bildungssendungen für alle Altersgruppen einen festen Programmbestandteil und abends – neben Sport und viel beachteten Dokumentationen zur US-Geschichte – der ausgedehnte Nachrichtenblock, kompletter als in vielen Printmedien.

Das Beste: Kurz bevor Dave Letterman und Jay Leno auf CBS und NBC mit der Late-Night kommen, setzt sich Charlie Rose zur informativen Einzelbefragung in sein leeres schwarzes Studio. Ihm gegenüber sitzt an einem Tisch ein Promi, mal Pete Sampras, mal Susan Sontag. Das leicht verzerrte Gesicht des konzentriert zuhörenden Rose gehört zum Erfreulichsten, was US-TV zu bieten hat. Außerdem unterbricht ihn keine Werbung, da PBS lediglich die Nennung des Sponsors vor und nach der Sendung gestattet.

Nicht anders als die Konservativen hierzulande wollen die US-Republikaner ausgerechnet diese Programmqualität nicht mehr finanzieren. Ihre Gründe sind ein Mix aus Marktideologie und wahltaktischer Denunzierung des Rundfunkauftrags: Eine linksgerichtete, intellektuelle Oberschicht, die cultural elite, finanziere mit den Steuern der Mittelklasse, das heißt, mit dem Geld der republikanischen Wählerschicht, ein Programm für sich selber. Eine Privatisierung von PBS sei möglich, da sich erfolgreiche und somit erhaltenswerte Produktionen wie Sesamstraße und Barney ohnehin selbst tragen könnten. Liberale, „elitäre“ Sendungen sollten sowieso nicht von der Allgemeinheit bezahlt werden.

PBS ist so was wie 3sat auf amerikanisch

Die niedrigen Einschaltquoten der Mathematikkurse, Übertragungen aus der Met und „Weltspiegel“- ähnlichen politischen Magazinen scheinen den Republikanern recht zu geben. Selbst zur Prime time am frühen Abend schalten nur etwa 2,3 Prozent der TV-Haushalte ein, und im monatlichen Mittel sieht der durchschnittliche US-Haushalt lediglich acht Stunden PBS. Die Republikaner haben allerdings auch wahrgenommen, daß die tatsächliche Akzeptanz für die „elitären“ Sendungen viel höher liegt: „Umfragen haben immer wieder gezeigt“, so der Sprecher von PBS, „daß die Leute überwiegend auf der Seite von PBS sind.“ 80 bis 90 Prozent der jeweils Befragten gilt PBS als familienfreundlich und ausgewogen.

Diese Art von passiver Akzeptanz spiegelt die bodennahe Struktur des Public Broadcasting. Als private gemeinnützige Vereinigung von 346 lokalen, nichtkommerziellen Fernsehstationen ist PBS nicht wie die ARD eine Anstalt öffentlichen Rechts oder wie CBS ein Network mit eigener Programmproduktion. PBS beruht auf den 176 unabhängigen Besitzern seiner Stationen, örtlichen Interessengruppen, Colleges und öffentlichen Bildungseinrichtungen, die sich nach seiner späten Gründung 1969 zusammengeschlossen haben. Dessen Aufgaben bestehen in der Unterstützung der relativ kleinen Sender bei Finanzierung und Verwaltung: Bei sendereigenen Produktionen, dem Ankauf unabhängiger Sendungen, der Koordinierung der Bildungsprogramme, dem Vertrieb auf dem Videomarkt, der Technik und vor allem beim Fundraising – Familien und Privatpersonen förderten 1993 die jeweiligen lokalen Sender und Dachorganisationen mit beinahe 300 Millionen Dollar aus eigener Tasche. Sie steuerten damit mehr als 20 Prozent der Gesamteinnahmen bei. Der Staat garantiert nur den Erhalt der PBS-Dachorganisation, was etwa weitere 20 Prozent der Einnahmen ausmacht. Die restlichen 60 Prozent stammen aus Einkünften durch Sponsoring, Vertrieb auf Video und Gebühren aus dem Bildungsangebot.

Um eine wirksame Alternative zu den Kommerziellen zu bleiben, weigert sich PBS-Präsident Michael Duggan bisher standhaft, Konzept oder Programme substantiell umzustrukturieren. Werbung oder Abstriche bei der Qualität bleiben weitgehend tabu. Ziel ist vielmehr, mittelfristig von der staatlichen Förderung unabhängig zu werden. Nach Duggans Ansicht sollte ein unabhängiger „Trust Fund“ die 20 Prozent staatlicher Subventionen übernehmen. Für den Aufbau des Fonds kämen so verschiedene Maßnahmen wie die Vermietung von Sendekanälen an nichtkommerzielle Anbieter oder Zahlungen privater Anbieter zum Ausgleich für nichterfüllte Verpflichtungen bei Bildungs- oder Kinderfernsehen in Frage – wogegen die Privaten allerdings schon protestiert haben.

Der republikanische Angriff hat Spuren hinterlassen. Die Kürzungen im PBS-Etat machen sich vor allem bei den Programmen zu Theater, Oper und Kunst bemerkbar. Und PBS muß sich für seine niedrigen Quoten rechtfertigen. Jedoch scheinen Produzenten wie Bill Moyers noch die Oberhand zu haben: „Wenn wir beginnen, Zuschauer zu werben und nicht unsere Kunden bedienen, dann haben wir ein Problem. Wir müssen uns fragen: Was ist unser Auftrag?“ Stefan Matzig, New York