Die Welt ist eng in der Zossener Straße

Die kurdischen Hungerstreikenden in Berlin wähnen überall Feinde. Am Freitag flogen bei einem Polizeieinsatz Brandflaschen. Heute soll über das Ende der Protestaktion entschieden werden  ■ Aus Berlin Severin Weiland

Das Gitter am Eingangstor ist herausgerissen, eine Gruppe Kurden hält Wache. Mißtrauisch wird jeder Besucher beäugt, der in den Innenhof will, wo im zweiten Stock des Kurdischen Zentrums in Kreuzberg die Aktion der rund 170 Hungerstreikenden koordiniert wird. Dort fühlt man sich an diesem Sonntag wie in einer belagerten Trutzburg, obwohl draußen kein Polizist weit und breit zu sehen ist. Ein „erneuter Angriff“ drohe am Abend, die Beamten hätten schon mehrmals versucht, die „Sicherheitsposten“ zu provozieren, heißt es in einem Fax.

Es fällt schwer, solche Meldungen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Die Sprache der Hungerstreikkomitees erinnert an den Tonfall deutscher K-Gruppen. In den Köpfen herrscht Krieg. Polizeieinsätze werden zu militärischen Operationen umgedeutet. Man werde sich, heißt es, bei einer Räumung „auf keinen Fall freiwillig ergeben“.

Das Freund-Feind-Weltbild, das die Koordinatoren pflegen, ist seit Freitag abend wieder im Lot. Hier die hungerstreikenden Kurden, dort die böse Polizei. Am Abend desselben Tages war die Situation unerwartet eskaliert, flogen Molotowcocktails und Steine, als die Polizei das Tor stürmte: Sieben Beamte und 20 Hungerstreikende wurden verletzt. Zuvor hatten Kreuzbergs Bürgermeister Peter Strieder (SPD) und der Anwalt Christian Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen) geduldig versucht, eine Konfrontation zu vermeiden. Anwohner rund um den Innenhof hatten sich über Personenkontrollen am Tor beschwert. Wahrheit und politische Instrumentalisierung sind in diesen Tagen kaum auseinanderzuhalten. Berlins Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) erklärte flugs die „Berliner Linie“ für gescheitert, die noch zuletzt so erfolgreich auf der friedlich verlaufenen Demonstration für die während des Hungerstreik gestorbene Kurdin Gülnaz Baghistani praktiziert worden war.

Zu den Unterstützern zählt auch ein verloren wirkendes Häuflein Deutsche, jene gutmeinenden Linken, die peinlich darauf achten, den Sprachduktus ihrer kurdischen Freunde einzuhalten. Die Polizeiaktion vom Freitag war für sie natürlich eine „Provokation“. Die Brandsätze gegen Polizisten, die einige von ihnen trafen und kurzzeitig deren Hosen in Flammen setzten, wollen sie nicht gesehen haben. „Wir standen ja nicht am Tor“, entschuldigt sich einer der deutschen Sympathisanten. Daß kleine Kinder, fünfjährige gar, sich weiße Masken überzogen, Holzlatten in der Hand hielten und den jungen Männern im Innenhof nacheiferten – für alles hat man hier eine Erklärung. Der Einsatz der Polizei sei halt für die Kinder „zum Alltag geworden“, meint der Sprecher des Hungerstreikkomitees, Zana Arslan.

Die Welt ist eng in der Zossener Straße 41. So eng wie der Hof, in dem die Hungerstreikenden draußen auf Stühlen sitzen. Überall lauern Feinde. Da ist das Ehepaar Jeschke: er, Fliesenleger von Beruf, mit einem eigenen Betrieb gleich vor der Tür. Die deutschen Sympathisanten machen aus den biederen Jeschkes, die sich über Lärmbelästigung beschwert hatten, gleich bezahlte V-Leute: „Wer weiß, ob die nicht ihr Geld schon ganz woanders herbekommen.“ Vielleicht hätten sie ja auch die Molotowcocktails geschmissen. Daß die Bilder von Steine werfenden Jugendlichen schon längst in den Berliner Sonntagszeitungen abgedruckt sind – hier dringt so etwas nicht durch. Gereizt wird der Reporter taxiert. Überhaupt, so ergänzt Arslan, sei man sich sicher, daß in den Wohnungen drumherum Mieter für die Polizei arbeiteten. „Durch den Polizeieinsatz sind unsere Sympathien bei der Bevölkerung nur gestiegen.“ In der Nachbarschaft aber lenkte das Spektakel wohl eher vom TV-Alltag ab. Ein Mann, der auf einem Balkon Zeitung liest, fand die „Sache am Freitag ganz aufregend“.