Bloß kein Remmidemmi

■ Im Gespräch: Thomas Deecke, Direktor des Neuen Museums Weserburg, über die steigende Lust der Museen, die alten Bilder, Figuren und Steine rotieren zu lassen/ „Akzentverschiebungen“ als Weg zum neuen Kunstmuseum

Es kommt Bewegung ins altehrwürdige Museum. Mit immer knalligeren Sonderschauen überbieten sich die großen Häuser, um das müde Publikum zu locken; anderswo setzt man auf neue, weniger spektakuläre Präsentationsformen und krempelt einfach die alten Dauerausstellungen um. Bundesweit lassen die Museumsleute ihre Bilder im eigenen Hause rotieren – um verborgene Magazinschätze zu zeigen, um mehr Spannung und vor allem mehr Leben in die Bude zu bringen. „Akzentverschiebungen“ nennt das Neue Museum Weserburg seinen Beitrag zum Trend. Versprochen werden dem Publikum neue Sichtweisen auf die alten Ausstellungsstücke. Wie das funktionieren soll und wohin das alles führt, erklärte Direktor Thomas Deecke im taz-Gespräch.

taz: Bei der Eröffnung Ihres Hauses haben Sie behauptet: „Aussteller sind nur in der Lage, Atmosphäre herzustellen, um Distanz und Ruhe für die Kunst zu erzeugen“. Ist das nicht ein bißchen naiv? Jede Zusammenstellung von Kunstwerken, auch in betont nüchternen Räumen, ist doch schon eine Interpretation.

Thomas Deecke: Unser Museum zeigt zeitgenössische Kunst, aber nichtsdestotrotz ist es auch ein Rückzugsort. Dabei bleibe ich. Es ist eines der wenigen Refugien, wo noch eine direkte, genußvolle, langsame, intensive Auseinandersetzung mit dem Geistigen möglich ist – hier: in Form von bildender Kunst. Das heißt: Raus aus der Welt der Bilderüberflutung durch die Medien, der Schnelligkeit und der immer neuen Bilder und hin zu den Originalen im Museum.

Jetzt wollen Sie aber doch ein wenig Unruhe in Ihr Haus bringen. Warum?

Eine eher intellektuelle Unruhe. Das bedeutet, daß die Leute, die öfter in unser Haus kommen, stolpern, über neue Dinge, über neue Sichtweisen. Ich hab' das gestern bei einer Führung erlebt. Da hat jemand gesagt: Was, dieses Bild war schon im Haus? Die hab' ich bisher gar nicht gesehen. – Da kann ich nur sagen: Dann habe ich sie bisher auch nicht richtig ausgestellt gehabt. Aber jetzt wird diese Arbeit plötzlich entdeckt. Das heißt: In einem anderen Licht, einem anderen Kontext ist sie plötzlich sichtbarer geworden.

Das klingt als Theorie ja sehr schön, aber wie funktioniert das in der Praxis? Was erfahre ich denn Neues über Rückriems monumentale Steine, wenn neuerdings ein besonders zartes Gemälde von Verheyen neben ihnen hängt?

Vordergründig ist erstmal die Unterschiedlichkeit der Arbeiten das Aufregende. Bei dem einen Künstler schwere, lastende Steine von unglaublichem Gewicht, mehrfach gebrochen und geschnitten; auf der anderen Seite die Auflösung der Bildoberfläche in zarteste, feinste, ineinander überfließende Farben. Da hat man erstmal den Kontrast. Bei genauer Betrachtung aber entdeckt man auch bei Rückriem eine neue Qualität, die bei dem Verheyen-Bild ganz offensichtlich ist: Daß dieser Künstler unglaublich empfindsam und vorsichtig umgeht mit seinem Material, dem Stein. Er versucht, bei jedem einzelnen Stein – hier haben wir zum Beispiel Sandstein aus Westfalen –, die „Maserung“ zu entdecken, also die Kräfte, die im Stein stecken, herauszufinden und für uns sichtbar zu machen. Dazu gehört ein hohes Maß an Sensibilität – was wir bei Rückriem vielleicht vorher nicht bemerkten, was aber durch seinen neuen Nachbarn Verheyen hervorgehoben wird. Das war für uns einer der Gründe, diese beiden Ansichten einmal miteinander zu konfrontieren. So haben wir zwischen dem Unterschiedlichsten, was man sich an Malerei und Plastik vorstellen kann, eine Art Brücke gebaut.

Meistens sind Ihre „Akzentverschiebungen“ eher vorsichtiger Natur. Man gruppiert am liebsten Zeitgenossen in einem Raum. Können Sie sich vorstellen, auch mal ein paar Jahrhunderte zu überspringen, zum Beispiel ein monochromes Bild mit einem barocken Stilleben zu konfrontieren?

Bei der „Rochade“ im letzten Jahr haben wir das schon in kleinem Maßstab gemacht. Damals hing neben dem Objektkünstler Spoerri plötzlich ein niederländisches Stilleben; da ist die Nachbarschaft natürlich offensichtlich.Wir werden solche Dialoge in Zukunft immer wieder versuchen, da besteht unter den Museumsdirektorinnen und -direktoren Einigkeit. Wir wollen auch über die Zeitgrenzen hinweg Verwandtschaften und Widersprüche aufzeigen.

Sind solche Verwandlungen im Museum nicht auch notwendig geworden, damit die Leute mehr als ein, zwei Mal im Leben die Dauerausstellung besuchen?

Also, da könnten wir's uns einfacher machen. Die einzige Methode, mit der man wirklich viele Leute ins Museum kriegt, ist: das Museum leerräumen und stattdessen irgendwelche Picasso-Ausstellungen machen, oder Dali, oder Chagall. Da hat man jedesmal 30- bis 50.000 Leute im Haus und kann ein gutes Ergebnis vorlegen, was immer das dann heißt.

Aber hier geht's darum, mehr Leute für die eigenen Bestände zu gewinnen.

Richtig, und dazu muß man langfristiger vorgehen und eine Kombination finden aus wechselnden Ausstellungen und sanfter Veränderung innerhalb der Sammlung selbst. Mich interessiert, unsere Betrachter dazu zu erziehen, daß sie immer wieder neu hinblicken. Dazu braucht man nicht immer neue Sonderausstellungen. Manchmal reicht es eben, Dinge in einen neuen Sinnzusammenhang zu stellen. Dann sieht man die Werke neu und anders. Das ist durchaus auch Aufgabe eines Museums. Sie kennen die alte Diskussion um die großen Museumsmodelle: das Bodesche Modell und das moderne Museum. Bode hat gesagt: Die ganze Zeit muß ausgestellt werden; das Bild mit den Möbeln mit dem Kunsthandwerk – alles zusammen...

...wo man sich dann mühsam vom 15. ins 20. Jahrhundert Saal für Saal vorrobben muß...

...ja, genau, das ist wunderschön, das gibt diesen enzyklopädischen Überblick. Aber dann haben wir die Autonomie des Bildes entdeckt, wir haben das Bild von allem historischen Ballast befreit, es möglichst noch aus seinem Rahmen herausgeholt und es sozusagen „rein“ ausgestellt. Ganz im Sinne der Moderne, in der das Bild nur sich selbst darstellt.

Das heißt: Jedes Bild braucht seinen eigenen Raum.

Das wäre so das Ideale; auch der Rembrandt, der Frans Hals, der Mantegna, alles wäre für sich alleine...

Das wäre Ihre Idealvorstellung?

Nein, das ist nicht meine Idealvorstellung. Keine dieser apodiktischen Lösungen ist die richtige. Es gibt ja auch verschiedene Rezeptionsverhalten. Es gibt nicht ein Publikum, wie Tucholsky mal gesagt hat, sondern es gibt viele Publikümmer. Und für die müssen wir versuchen, immer wieder andere Sichtweisen anzubieten. Das soll nicht populistisch sein; kein Remmidemmi im Museum, wie man das noch in den 60er Jahren für richtig hielt.

Die Grenzen zwischen der alten musealen Dauerausstellung und der Sonderschau sind jedenfalls in Fluß gekommen. Das Museum für Moderne Kunst (MMK) in Frankfurt hat den ständigen „Szenenwechsel“ von Anfang an zum Prinzip gemacht. Dort läßt man die Kunst allerdings viel rascher rotieren als in der Weserburg.

Wir verstehen uns noch viel stärker als Museum im althergebrachten Sinn. Wir wechseln nicht die Szenen, sondern „nur“ die Akzente. Konservieren, pflegen und immer mal wieder behutsam vorzeigen, was es an Sichtweisen auf die Kunst gibt. Und daneben machen wir immer unsrere Sonderausstellungen, die sich auch meistens auf die Sammlung beziehen lassen.

Sie wollen die Besucher erziehen, immer wieder neu hinzublicken; hat das Publikum das im vergangenen Jahr honoriert?

Wir haben sehr viele Besucher, die oft wiederkommen, das hat sich bei Umfragen gezeigt. Aber wir würden natürlich noch gern die anderen wiedersehen, die vielleicht nur zur Design-Ausstellung im Frühjahr gekommen sind. Zur Zeit haben wir knapp 50.000 Besucher im Jahr und hoffen, das zu halten. Ein dicker Schlag ins Kontor war der Sommer. Das Wetter war einfach viel zu gut, um ins Museum zu gehen. Da können wir Akzente verschieben, wie wir wollen.

Hoffen wir aufs nächste Tiefdruckgebiet.

Naja; so wichtig ist das auch wieder nicht mit den Besuchern.

Fragen: Thomas Wolff