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SanssouciVorschlag

■ Remote Control mit „Rough“ im Hebbel-Theater

Im Theater ist immer alles nur Attrappe. Und manchmal ist die Bühnenwelt noch künstlicher als sonst. So zum Beispiel in „Rough“, einem Bastard aus Schauspiel, Musical und Tanztheater, das die Stockholmer Gruppe Remote Control derzeit im Rahmen von Tanz im August im Hebbel-Theater zeigt. Dort ergießt sich ein Watteschaumbad aus einem goldumrandeten Wasserfall-Gemälde auf den Bühnenboden, und ein künstliches Kaminfeuer in vollendetem Kitsch erglüht in mehrfacher Ausführung. Aber nicht nur die Dekors, sondern auch die Akteure wirken nicht ganz echt. Hier wird vorgeführt, wie Theaterspielen gespielt wird, wie Proben geprobt werden – ein selbstreferentielles System: Theater im Theater im Theater.

Ironisch spielt die Inszenierung mit der Behauptung einer gescheiterten Inszenierung. Das geplatzte Musical war eine Nummer zu groß und das Thema zu morbide: „Du willst wissen, ob diese Körper, vor oder nachdem sie getötet wurden, verstümmelt worden sind oder ob diese Körper geflickt wurden, vor oder nachdem sie getötet wurden?“ Jetzt sitzen die Akteure an einer neuen Arbeit, aber alles läuft aus dem Ruder. Szenen einer Ehe werden vom Blatt gelesen, eine Opernsängerin gibt sich ihren Diventräumen hin, und eine frustrierte Unbekannte ihren Depressionen: lauter Fragmente ungespielter und doch ziemlich vertraut wirkender Stücke. Die Szenen sind kurz, hart und scheinbar zusammenhanglos ineinandergeschnitten. Der Regisseur Michael Laub jongliert in seinem Theater mit medientheoretischem Besteck und mixt einen bunten Cocktail aus Soap-opera, Dokumentarfilm und Musical, in dem sich Fiktionen gegenseitig spiegeln und ins Unendliche vervielfachen. Ein mediales Delirium.

Da das Stück backstage spielt, sitzt das Publikum auf der Bühne. Der eiserne Vorhang ist heruntergelassen, der Publikumssaal geschlossen: hier wird der theatralische Ernstfall simuliert. Hautnah rücken uns die Akteure zuleibe. Ein verstörter Berichterstatter sitzt den verblüfften Zuschauern fast auf dem Schoß, und wir, die auf eigens reservierte Plätze delegierten Journalisten, werden Teil des Spiels. Wir sind sein Spiegel und er unserer – bietet er doch in seinen panisch, stotternd und kaum verständlich gesprochenen Texten die Zombievariante einer degenerierten Medienwelt: eine auf Schockelemente reduzierte Wirklichkeit voller Mord und Totschlag, grell deformierter Mutanten und mitleiderregender Neurotiker. Nur Textfetzen sind in diesem Sprachmüll zu verstehen, und wer genau wissen will, was geredet wurde, muß im Programmheft nachlesen. Dort steht auch, daß „Rough“ die Skizze zu einem Musical sei, das 1996 aufgeführt werden soll – aber das glauben wir natürlich nicht. Michaela Schlagenwerth

Heute, 20.30 Uhr, Hebbel-Theater, Stresemannstraße 29, Kreuzberg

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